Berlin, 24. Oktober 2014 – Kein Sprit mehr vom Acker. Dafür mehr Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien. Die ideale Tankstelle des Jahres 2020 könnte ungefähr so aussehen: Für die vielen Autos im Bestand gibt es mineralölbasierte Otto- und Dieselkraftstoffe. Ohne die Beimischung von Ethanol (E10, E5) oder Fettsäuremethylester (B7), dem zweifelhaften Agro-Sprit. Daneben steht eine Säule mit Wasserstoff, der nicht aus fossilem Erdgas reformiert, sondern durch Elektrolyse mit Grünem Strom vor Ort produziert wird. Und über die Kabel werden natürlich auch mehrere Schnellladestationen für batterie-elektrische Autos nach allen Standards versorgt.
Eine absurde Vision? Rein technisch betrachtet nicht. Die Realität wird deutlich nüchterner aussehen, obwohl eine letzte Woche verabschiedete Verordnungsermächtigung im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) den nötigen Spielraum schafft. Vereinfacht gesagt schafft Deutschland damit jetzt schon die Basis für die nationale Umsetzung eines ab Anfang 2015 veränderten Biokraftstoffquotengesetzes von der EU.
Rückblick: Mit dem Einsatz von so genannten Biokraftstoffen wollte die EU a) die Abhängigkeit von Rohölimporten verringern und b) die Kohlendioxid-Emissionen senken. Den Schwarzen Peter schob sie dabei den Mineralölkonzernen zu – auf welche Art und Weise die vorgegebene Quote erfüllt wurde, war und ist deren Sache. Das unselige Ergebnis ist bekannt. Mit der Beimischung von Ethanol im Benzin (bis zu zehn Volumenprozent bei E10, fünf beim gewöhnlichen Superkraftstoff) sowie Fettsäuremethylester („FAME“ mit maximal sieben Volumenprozent, also B7 bei Dieselkraftstoff) wurde die Norm erfüllt. Und tatsächlich bekam die Landwirtschaft einen Schub. Die Diskussion [1], ob die Konkurrenz zwischen Tank und Teller ethisch richtig ist, lässt viele Autofahrer bis heute die Nase über den Biosprit rümpfen. Und ob der CO2-Ausstoß tatsächlich gesenkt wurde, ist unsicher.
Darum ändert die EU ihre Politik und fordert nun bis zum Jahr 2020 zusätzlich zu zehn Prozent erneuerbarer Energien im Verkehrssektor ein nachweisbares Minus bei den CO2-Emissionen von sechs Prozent.
Hier kommt das überarbeitete BImSchG ins Spiel. Es ermöglicht, Wasserstoff und Strom aus erneuerbaren Energien auf die EU-Quote anzurechnen. Freie Bahn also für die Energiewende auf der Straße, denn es ist eine indirekte Förderung, wenn die Mineralölkonzerne nicht mehr auf die auch dort ziemlich unbeliebten Agro-Kraftstoffe E5, E10 und B7 angewiesen sind, um die EU-Pflicht zu erfüllen.
Der Jubel sollte sich dennoch in Grenzen halten. Die schlechte Nachricht geht an die Freunde des batterie-elektrischen Fahrens: Die Skepsis bei den Diesel- und Benzinverkäufern gegenüber Strom ist sehr, sehr groß. Das Geschäftsmodell sei einfach schlecht, heißt es aus Fachkreisen. Strom ist ein Produkt, das man nicht kennt und nicht selbst produziert. Ähnlich wie beim Erdgas würde die Mineralölindustrie also einen branchenfremden Kraftstoff auf dem eigenen Grund und Boden anbieten – und entsprechend wenig verdienen.
Noch schwerer wiegt, dass die Fläche der Tankstellenbetriebe im Regelfall begrenzt ist. Hier ist Fluktuation gefragt: Ankommen, Volltanken, Zeitung, Wasser und Schokolade kaufen, vielleicht noch ein Toilettengang, und zehn Minuten später darf der nächste Kunde Umsatz generieren. Die Standzeit auf dem Gelände durch ladende Elektroautos ist unattraktiv, aus Sicht der in Energiedingen konservativ Denkenden sogar Blockadezeit. Es darf darum als vorbildlich gelten, wenn etwa TOTAL an immer mehr Tankstellen Strom aus Multichargern bereitstellt. Ein Modell, das mutmaßlich selten bleiben wird.
Es wirkt so, als wäre der Strom, weil er unsichtbar und nicht in Tanklastzügen abfüllbar ist, irgendwie verdächtig. Vertraut dagegen ist der Umgang mit etwas Stofflichem wie Wasserstoff in der Gasphase. Die Affinität zum H ist bei den Mineralölkonzernen wesentlich größer als zu fließenden Elektronen.
Werner Diwald, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verbands e.V. und ehemals Vorstand bei ENERTRAG sowie Entwickler und Errichter eines Hybridkraftwerks [2] in der Uckermark, sieht im Elektrolysegas besonders viele Vorteile vereint: „Die Dreiteilung des Energiemarktes in Mobilität, Strom und Wärme kann mit Grünem Wasserstoff überwunden werden“, so Diwald. Grundsätzlich sei die Frage, wie man überschüssigen Strom speichern könne, wobei die schlechteste Lösung immer die Rückverstromung sei: „Im Verkehrssektor ist die Anwendungsbreite sehr groß und reicht vom langstreckentauglichen Brennstoffzellenauto [3] bis zum schweren Nutzfahrzeug.“
Neben der Anlieferung per Tanklastzug oder Pipeline sei die dezentrale Erzeugung von Wasserstoff in „Master“-Tankstellen, die wiederum kleinere „Slave“-Tankstellen bedienen, gut vorstellbar. „Alles in allem bietet Wasserstoff eine hohe Flexibilität.“
Dass es bisher kein einziges Brennstoffzellenauto zu kaufen gibt, stört die Beteiligten dabei nicht, weil man den Wasserstoff aus Grüner Elektrolyse nicht an Zapfsäulen anbieten muss. In einem ersten Schritt kann man ihn zunächst bei der Raffinierung konventionellen Kraftstoffs einsetzen. Bisher stammt dieser Wasserstoff aus nicht erneuerbaren Quellen. Je mehr Grünen Wasserstoff man dabei verwendet, desto geringer ist – gesamthaft betrachtet – die CO2-Belastung durch den so produzierten Otto- oder Dieselkraftstoff.
Theoretisch hat die EU mit der Forderung nach erneuerbaren Energien im Verkehrssektor, die ihren Namen auch verdienen, eine gute Tat vollbracht. Und Deutschland hat die gesetzliche Voraussetzung geschaffen, damit Wasserstoff und Strom aus Renewables endlich vorankommen.
Praktisch aber ist auch der Autofahrer gefordert, seine Energiewende selbst auf den Weg zu bringen. Volkswagen und BMW bewerben zurzeit massiv ihre batterieelektrischen Fahrzeuge. Sie haben das Potenzial, die Alltagsautos für Arbeitstour und Freizeitspaß zu ersetzen, sobald der Preis stimmt. Welcher Strom dabei geladen wird, kann zumindest zu Hause jeder selbst entscheiden. Ohne gesetzliche Vorgabe. Das ist ein bisschen Energiewende von unten.
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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Europaparlament-will-Biokraftstoffe-bremsen-1954959.html
[2] https://www.enertrag.com/projektentwicklung/hybridkraftwerk.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-Hyundai-iX35-FCEV-Freie-Fahrt-dank-Brennstoffzelle-2235105.html