Als Motorradfahrer ist man besonders anfällig für die alte Kraftfahrerromantik: Der Mann, und es ist bitte ein Mann, der muss in möglichst inniger, direkter Verbindung zu seiner Maschine stehen, und diese Maschine, die muss möglichst rein, hart, grob und so einfach sein, dass der Mann am Steuer sie bis in die letzten Windungen versteht. Nur das ist Echtes Fahren (tm)! Die Elektronik, die hat uns der Teufel gebracht, jeder Absatz ECU-Code ist ein satanischer Vers voll ketzerischer Verkehrtheit. Des Verführers unheilige Saat geht heute auf, denn nur wegen Elektronik kauft die Jugend Smartphones statt Autos, nur wegen Elektronik hat das höllische Transistorradio ins Auto Einzug gehalten, wo es die verbliebene Restjugend mit der Musik Satans oder schlimmer: Justin Biebers dem ewigen Verderben anheimgibt. So die traditionelle Theorie.
Bisher stand ich der Romantischen Theorie des Kraftfahrens immer entgegen, denn sie lädt so deutlich zum Widerspruch ein: Die Elektronik hat uns nicht zuerst den Verfall der Fahrsitten gebracht, sondern noch davor ein Niveau der Zuverlässigkeit, das vorher nicht denkbar war. Mechanische Zündwinkelverstellung mit mechanisch schleifendem Zündverteiler, das musste regelmäßig eingestellt werden und ging trotzdem genauso regelmäßig kaputt. Es ist richtig, was die Altvorderen sagen: Man konnte den Rotz tatsächlich am Straßenrand mit einem Hammer und einem Tannenzapfen reparieren. Was uns die Altvorderen jedoch gern verschweigen: Man musste das auch, regelmäßig, im Regen, bei Nacht, denn Gott Murphy herrschte schon damals. Selbst die immer komplexer werdenden Fahrhilfen erreichen normalerweise nach ein, zwei Dutzend Jahren ein Funktionsniveau, an dem selbst Traditionalisten nur noch theoretische Kritik äußern können. Mit solchen stabilen Vorurteilen fuhr ich die neue KTM 1290 Super Duke R, und auf einmal stieg der Geist der Kraftfahrromantik völlig unerwartet aus dieser Maschine.
Das Motorrad wurde vorab als "The Beast" beworben, als Aggro-Straßenkampfmaschine, die kaum auf zwei Rädern zu halten sei. Das war eine ziemliche Ansage, denn schon der Vorgänger 990 Super Duke war ein nervöser, aggressiver Kettenhund, den man eigentlich nur den Hardlinern der KTM-Taliban empfehlen konnte. Die genossen eine Gasannahme, die einer Rennmaschine würdig war, eine knackige Geometrie mit entsprechend leichtfüßigem Handling und einen Motor, der sich nirgends anbiedert, aber genau deswegen unter den Racern sehr tiefe Freundschaften schließt. Kaffeefahrer dagegen waren gelegentlich regelrecht schockiert von der 990. Nervös schüttelte sie ihren Kopf beim Beschleunigen, unwillig hackte sie auf ihre Kette ein in Ortschaften und ging am Ortsausgang wie ein Mörder mit der Axt ans Gas. Sowas mit 1300 ccm und 180 PS? "The Beast" indeed...
Es passierte jedoch anders. Erste Anzeichen: "Das Motorrad macht nicht mehr, was du am Gas sagst, sondern was du meinst", erklärte KTM-Produktmanager Jörg Schüller. "Es macht viele Fehler schlicht nicht mit." Unerhört! Meine Fehler, die sind doch quasi heilig, eine Sache zwischen mir und dem Motor! Was hat sich ein Gasgriff da einzumischen? Die Testfahrt gab Antworten. Dieser Atomreaktor von Motor lässt sich an einem einzelnen Haar führen wie eine zahme Schwebfliege. Der Gasgriff macht tatsächlich einige sehr typische Fehler nicht mehr mit, vor allem im On-Off-Betrieb. Der Übergang vom Schiebebetrieb auf Last ist unmerklich weich, meistens lässt die ECU die Drosselklappen gleich ein bisschen offen, das reduziert auch das Motorschleppmoment. Es funktioniert ohne Zweifel ausgezeichnet, es hinterließ jedoch ein seltsames Gefühl: Ein vergleichsweise einfach aufgebautes Servosystem kann besser Gas geben als ich.
Das E-Gas ist natürlich nicht die einzige Nachricht an der 1290er. Im Gegenteil ist es erst wirklich sinnvoll im Gesamtkontext: Das ganze Motorrad wurde darauf zurechtgeschliffen, dass es möglichst vielen Fahrern möglichst zugänglich ist. Der Motor der KTM RC8 R zeigte zum Beispiel, dass die Gleichmäßigkeit der Verbrennung und das Ansprechverhalten mit einer normalen mechanischen Gasbetätigung auf einem sehr hohen Niveau geboten werden können. Die neue Super Duke geht diesen Weg nur konsequent weiter mit dem zusätzlich sehr guten E-Gas. Auch die zivile Geometrie tut ihr Übriges. 180 PS, die von jedem Fahranfänger beherrscht werden können.
Die Crux mit den Traditionalisten ist diese: Sie sind sehr laut, sie beschweren sich schnell. Aber sie kaufen sehr wenig, denn die Tradition, die gibt es ja schon billiger als Gebrauchte. Wer den Traditionalisten heute ein neues Motorrad baute, kann auch gleich die Mainzelmännchen als Zielgruppe umwerben, denn die Verkaufszahlen werden vergleichbar nonexistent sein. Selbst mein Selbsttest zeigt dasselbe. Ich liebte die alte 690 Duke, diese zickige Ziege, die erst dann gescheit fuhr, wenn sich der Fahrer auf sie eingeschossen hatte. Andersherum machte sie eben diesem Fahrer keine eigenen Zugeständnisse. Es war ein wunderbares Krad. Aber ich kaufte es nicht. Ich kaufte die Nachfolgerin, die denselben Motor in einem neuen, zugänglichen Konzept anbietet. Genauso träume ich bis heute davon, mir den krassen Kettenhund KTM 990 Super Duke in die Garage zu stellen. Aber ich tat es bis heute nicht. Ich werde es auch nicht tun. Ich brauche mein Geld für die 1290er.
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