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MV Agusta stellt Vergleichsantrag Sterben in Schönheit?

Motorrad 05.04.2016 10:47 Uhr iga

Varese (I), 5. April 2016 – MV Agusta baute schon immer wunderschöne und sehr emotionale Motorräder. Einen besseren Namen kann man sich kaum wünschen, wenn man vorhat, neue Modelle am Markt zu platzieren. Doch zum Überleben gehört auch vernünftiges Wirtschaften, wie MV Agusta schon mehrmals leidvoll erfahren musste. Nun hat die italienische Edel-Marke vor Gericht einen Vergleichsantrag gestellt, um die Pleite abzuwenden. Neben den Arbeitern und Zulieferern dürfte der Teilhaber Mercedes-AMG darüber wenig erfreut sein sein, schließlich ist man erst vor eineinhalb in das gemeinsame Abenteuer gestartet

Die legendären italienischen Bikes sammelten über Jahrzehnte 75 Weltmeistertitel und die Vierzylinder-Modelle aus den 1970er Jahren hatten einen Ruf (und Sound) wie Donnerhall. Doch die 1927 aus der Flugzeugproduktion des Grafen Giovanni Agusta hervorgegangene Motorradmanufaktur musste aus Geldmangel 1980 die Produktion einstellen. Das war tragisch, aber MV Agusta war nur eine unter vielen italienischen Marken, die in dieser Zeit Pleite gingen. Einer der Hauptgründe waren die japanischen Motorräder, die mehr Leistung und vor allem Zuverlässigkeit für weniger Geld boten.

In der Hand eines Finanzjongleurs und Motorradfans

Doch 1992 kaufte der clevere Finanzjongleur und bekennende Motorradfan Claudio Castiglioni die Namensrechte und MV Agusta erhob sich 1997 mit der F4 750 wie Phönix aus der Asche. Kein geringerer als Massimo Tamburini, der Konstrukteur der Ikone Ducati 916, war angeworben worden, um einen wunderschönen Sportler auf die Räder zu stellen. Mit verzögertem Produktionsstart liefen dann ab 1999 atemberaubende und PS-starke, aber auch hochpreisige Vierzylinder-Modelle von den Produktionsbändern im norditalienischen Varese, zunächst mit 750, später dann mit 1000 Kubikzentimetern Hubraum. Doch die Finanzen von MV Agusta blieben stets im roten Bereich. 2008 übernahm überraschend Harley-Davidson für rund 70 Millionen Euro MV Agusta – und verkaufte die Marke in einem Akt der Verzweiflung nur zwei Jahre später [1] für den symbolischen Wert von einem Euro an Castiglioni zurück. Man muss kein Wirtschaftsexperte sein, um zu begreifen, dass es um die finanzielle Lage von MV Agusta nicht gut stand.


Im Jahr darauf verstarb Claudio Castiglioni und sein Sohn Giovanni übernahm das Ruder. Er setzte auf Expansion und Erweiterung der Modellpalette auf Dreizylinder-Motoren. Eine riskante Strategie, denn die Entwicklung mehrerer neuer Modelle kostete viel Geld, das eigentlich nicht da war, zudem mangelte es am Händlernetz und einer zuverlässigen Ersatzteilversorgung. MV Agusta war zwingend auf Kredite angewiesen.

AMG als Retter in der Not

Als 2012 die erfolgreichste italienische Motorradmarke Ducati vom Autohersteller Audi gekauft [2] wurde, begann man in Varese über einen ähnlichen Deal nachzudenken, jedoch ohne das Szepter aus der Hand geben zu wollen. Einen Partner fanden die Italiener schließlich bei Mercedes-AMG [3]. Man beschloss am 31. Oktober 2014 eine langfristige Kooperation und Mercedes-AMG kaufte 25 Prozent Anteile von MV Agusta. Man war sich einig, dass beide Parteien sportliche Fahrzeuge herstellten und hoffte auf gegenseitige förderliche Einflussnahme. Wie die genau aussehen sollte, blieb dem Laien eher nebulös, aber immerhin kamen dabei bislang eine F3 800 mit AMG-Schriftzug und eine Lewis-Hamilton-Edition der Dragster 800 RR heraus, Letztere für satte 24.144 Euro. Ganz sicher keine Volumenmodelle, eher Sammlerobjekte.

Es ist hauptsächlich den eleganten Dreizylinder-Modellen Brutale, Dragster und F3 zu verdanken, dass – laut MV Agusta – die Verkaufszahlen 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent gestiegen sind und die Auftragsbücher für 2016 gut gefüllt sind, angeblich um 42 Prozent mehr als im März 2015. Der Umsatz stieg in den letzten fünf Jahren von 30 auf 100 Millionen Euro.


2015 produzierte die Firma rund 9000 Motorräder, allerdings fanden längst nicht alle einen Käufer, die Geschäftsleitung orderte sogar vor kurzem 600 Motorräder des 2015er-Modelljahrs aus Amerika und Australien zurück, um sie den europäischen Händlern anzubieten, offensichtlich war man sie in Übersee nicht losgeworden. Angepeilt waren für letztes Jahr eigentlich 12.000 verkaufte Einheiten und eine Steigerung bis 2017 auf 17.000. Davon ist MV Agusta zurzeit meilenweit entfernt.

Der Schuldenberg bleibt

Wieviel technisches Know-how zwischen Deutschland und Italien geflossen ist, bleibt geheim, sicher ist aber, dass es MV Agusta 2015 der Beteiligung von Mercedes-AMG zu verdanken hatte, weiterhin Kredite bei Banken und Zulieferern gewährt zu bekommen. Doch nun hat sich herausgestellt, dass trotz gestiegener Verkaufszahlen die Einnahmen nach Steuern nicht ausreichten, um die Kredite zu tilgen. Fachkreise schätzen, dass MV Agusta zurzeit etwa 40 Millionen Euro Schulden bei diversen Zulieferern hat – und die sind nun mehr als besorgt, denn Castiglioni hatte ihnen fest versprochen, dass er die Ware termingerecht bezahlen würde. Das Problem ist nicht neu, es gab deshalb in der Vergangenheit schon Ärger und letztendlich mussten die Zulieferer auf einen Teil des zugesagten Geldes verzichten, damit bei MV Agusta nicht die Lichter ausgingen.

Produktion steht fast still

Die Produktion in Varese steht schon seit einigen Wochen mehr oder weniger still, weil Komponenten nicht mehr angeliefert werden und die 370 Mitarbeiter sorgen sich um ihre Jobs. Am 22. März hat Giovanni Castiglioni nun vor Gericht einen Vergleichsantrag gestellt, um einer Insolvenz zu entgehen. Das bedeutet, dass eine Einigung mit den Gläubigern auf Teilerlass der Schulden erreicht werden soll.


Dabei hätte sich das unerfreuliche Prozedere womöglich vermeiden lassen, denn für Februar war eigentlich eine Kapitalerhöhung von Mercedes-AMG um rund 30 Millionen Euro geplant. Unbestätigten Informationen zufolge soll jedoch Castiglioni das verhindert haben, um nicht seine Mehrheit an MV Agusta und damit seine Entscheidungsfreiheit zu verlieren. Die Zukunft der italienischen Kultmarke hängt von Mercedes-AMG ab. Im schwäbischen Affalterbach hüllt man sich diesbezüglich in Schweigen. Falls der Autohersteller aussteigt, kann Castiglioni endgültig den Laden dicht machen. Zurzeit wartet man bei Mercedes-AMG wohl noch das Ergebnis des Vergleichsantrags ab. Erlassen die Gläubiger MV Agusta einen Teil der Schulden, wird die Produktion im Werk zwar weitergehen, aber richtig glücklich dürfte man in Stuttgart – Mercedes-AMG ist eine hundertprozentige Tochterfirma von Daimler – mit der Situation wohl nicht sein. Allein schon, weil Konkurrent Audi sich sehr erfolgreich mit Ducati am Markt positioniert, wohingegen MV Agusta am Rande der Pleite balanciert. Das wirft kein gutes Licht auf die sonst so erfolgsverwöhnte Marke Mercedes-Benz.

Demonstrative Zuversicht

Momentan gibt man sich in Varese betont zuversichtlich und verkündet, ab April 400 Stück Brutale 800 und Dragster 800 RR zu bauen. Ob für den Bau auch alle Komponenten zur Verfügung stehen, wird nicht kommuniziert. Bleibt zu hoffen, dass MV Agusta überlebt, denn es wäre sehr schade, wenn der große Name erneut verschwinden würde. In den letzten Jahren bemühten sich die Italiener redlich, das Händlernetz auszubauen, in Deutschland gibt es momentan 55 MV Agusta-Händler. Auch die Feinabstimmung der Motorräder verbesserte sich [4] kontinuierlich, zeigten die ersten Einspritzungen noch sehr grobmotorische Manieren, war der letzte MV Agusta-Jahrgang deutlich benutzerfreundlicher abgestimmt.

Allerdings sollte man sich in Varese intensive Gedanken über die Preispolitik machen, selbst das günstigste Modell, die Brutale [5] 675, kostet 10.190 Euro, ihre schärfste Konkurrentin, die Triumph Street Triple 675 [6], gibt es bereits für 8640 Euro. Eine Brutale 800 liegt bei 12.590 Euro (Brutale 800 RR: 13.890 Euro), die Dragster 800 [7] gar bei 13.590 Euro (Dragster 800 RR: 16.390 Euro), die meistverkaufte dreizylindrige Konkurrentin in dieser Hubraumklasse ist mit 2230 Stück die Yamaha MT-09 [8], dank eines günstigen Listenpreises von 8395 Euro. Damit lag die MT-09 letztes Jahr auf Platz fünf der deutschen Zulassungsstatistik, eine MV Agusta taucht unter den Top 50 gar nicht erst auf. Dass die MV Agustas traumhafte italienische Diven sind, bleibt unbestritten, aber was nützt Schönheit, wenn der Kunde sie sich nicht leisten kann?


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Links in diesem Artikel:
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  [2] https://www.heise.de/autos/artikel/Audi-uebernimmt-den-Motorradhersteller-Ducati-1542937.html
  [3] https://www.heise.de/autos/artikel/Daimler-steigt-bei-Motorradhersteller-MV-Agusta-ein-2440130.html
  [4] https://www.heise.de/autos/artikel/MV-Agusta-Brutale-800-Modifikationen-zur-besseren-Fahrbarkeit-3102266.html
  [5] https://www.heise.de/autos/artikel/MV-Agusta-Brutale-800-Modifikationen-zur-besseren-Fahrbarkeit-3102266.html
  [6] https://www.heise.de/autos/artikel/Triumph-Speed-Triple-Ein-Gentleman-als-Strassenkaempfer-2917080.html
  [7] https://www.heise.de/autos/artikel/Hingucker-der-Saison-2104857.html
  [8] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-Yamaha-MT-09-Spass-mit-dem-Drilling-2574427.html

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