Stromspion Google
Was treibt eine Suchmaschine auf dem Markt für Elektrizität? Und wer hat ihr eigentlich verraten, dass ich morgens immer zwei Toastbrötchen frühstücke?
- Peter Glaser
Als Dany Hillis in den achtziger Jahren mit den Connection Machines eine neue Generation von Supercomputern baute, entwarf er auch eine Zukunft für die Maschinen. Er stellte sich so etwas wie Datenkraftwerke vor – mächtige Geräte, die für jedes Bedürfnis skalierbare Leistung bereitstellen würden, wie elektrischen Strom, den man nach Belieben abruft. Heute werden die Vorstellungen von Hillis Wirklichkeit, allerdings ohne seine Connection Machines. Die Vorstellung extern anzapfbarer Rechenleistung heißt nun "Cloud Computing" und die Datenkraftwerke "Data Center". Einige der größten davon betreibt der Suchmaschinengigant Google.
Inzwischen hört die Metapher vom Datenkraftwerk auf, als Vergleich zu funktionieren. Sie wird konkret. Denn Google darf nun tatsächlich Strom liefern. Eine im Dezember von Google Energy beantragte Zulassung als Stromhändler wurde gerade von der Federal Energy Regulatory Commission (FERC) abgesegnet. Damit kann Google nun Strom zu Großhandelsbedingungen kaufen und verkaufen. Google Energy ist eines jener Projekte, die unter dem Schirm von Google.org firmieren, einer philantropischen Struktur neben der eigentlichen Suchmaschinen-Unternehmung, die 2005 mit einem Grundkapital von einer Milliarde Dollar gestartet wurde. Die Menschenfreunde dort widmen sich der Armutsbekämpfung, dem Umweltschutz – und der Energiefrage.
Mit erneuerbarer Energien befasst man sich bei Google schon länger. So beschreibt beispielsweise ein vor zwei Jahren veröffentlichtes Patent die Stromerzeugung für ein schwimmendes Data Center durch ein an Bord befindliches Wellenkraftwerk. Im Green Inc.-Blog der New York Times äußerte sich Bill Weihl, der Energie-Guru von Google, zu den vielen ins Ungewisse gestarteten Experimenten: "Von den Projekten zu alternativen Energien, die wir unter dem Dach von Google.org durchführen, haben einige nur sehr wenig mit dem Kerngeschäft von Google zu tun, andere dafür mehr. Und das ist okay."
Wozu engagiert sich ein Suchmaschinenbetreiber auf dem Strommarkt? Da die Data Center Stromfresser sind, kann Google als Stromhändler mit Großhandelspreisen seine Kosten senken, auch indem beispielsweise gerade nicht benötigte Kapazitäten weiterverkauft werden. Aber auch um die Auswertung von Verbrauchsdaten kümmert sich Google. Intelligente Stromzähler – die Google PowerMeter – sollen für Verbraucher transparent machen, welche Geräte im Haushalt wie viel Energie fressen. Während man mit der Einführung eines intelligenten Stromnetzes ("Smart Grid") in den USA die Effizienz des überlastungsgefährdeten Stromnetzes erhöhen will, soll in Deutschland damit eine EU-Vorgabe erfüllt werden: Stromlieferanten müssen ihren Kunden bis 2012 die monatlichen Energiekosten transparent machen. Kunden der EnBW-Tochter Yello Strom können bereits ihren Stromverbrauch mit dem Google PowerMeter auf iGoogle stets im Blick behalten.
Die so anfallenden Daten ermöglichen aber nicht nur die Erkundung von Energiespar-Potentialen, sondern auch Rückschlüsse auf die Lebensgewohnheiten von Menschen. Einer Studie des US-Think Tanks "The Future of Privacy Forum" zufolge lässt sich etwa anhand des für bestimmte Geräte typischen Stromverbrauchs zu bestimmten Zeitpunkten erfahren, ob jemand zum Zubereiten des Mittagessens eher die Mikrowelle, den Herd oder den Ofen benutzt, oder wie er seine Freizeit zu Hause gestaltet, wann Fernseher und Computer ein- und ausgeschaltet werden, wann der Bewohner seine Wäsche wäscht, zu Bett geht etc. Auch ausbleibender Stromverbrauch gibt Auskünfte, beispielsweise ob es ein Frühstück gibt oder ob die Dusche benutzt wurde.
Nicht nur Privatpersonen werden durch Elektrizitäts-Daten durchscheinend. 10 Meilen nordöstlich von Washington in Fort Meade stehen die leistungsfähigsten Computer der Erde. Hier befindet sich das Datenzentrum der National Security Agency, der Vatikan des Überwachungswesens. Zur Leistungsfähigkeit der NSA-Computer gibt es keine offiziellen Auskünfte – aber der Stromverbrauch der Behörde erlaubt eine Schätzung. Mit einer jährlichen Stromrechnung von umgerechnet 21,2 Millionen Euro war die NSA bereits 2007 der zweitgrößte Stromkunde im US-Bundesstaat Maryland. Vergleicht man den Stromverbrauch der Supergeheimen mit dem Verbrauch von Supercomputern, lassen sich Rückschlüsse auf die verfügbare Rechenleistung der Agency ziehen.
Für Online-Aktivisten und Überwachungsgegner mag das ein lustiges Schmankerl sein - endlich kann man auch die Überwacher überwachen. Aber ob man einem privaten Unternehmen mehr vertrauen kann als einer staatlichen Institution, ist eine offene Frage. Bisher ist völlig ungeklärt, was mit den von den Stromanbietern und Smart Grid-Mitspielern wie Google gesammelten Daten aus Privathaushalten geschieht. Die Frage sollte vor der flächendeckenden Einführung intelligenter Stromnetze dringend beantwortet werden.
(bsc)