Mit Händen sehen, mit Ohren fühlen
Werden unterschiedliche Sinneskanäle gleichzeitig angeregt, kommt es zu verblüffenden Phänomenen. Forscher loten gerade aus, wozu sie sich nutzen lassen.
- Gregor Honsel
Werden unterschiedliche Sinneskanäle gleichzeitig angeregt, kommt es zu verblüffenden Phänomenen. Forscher loten gerade aus, wozu sie sich nutzen lassen.
Schon 1995 kürte die Gesellschaft für deutsche Sprache „Multimedia“ zum Wort des Jahres. Dabei steht das wahre Multimedia-Zeitalter noch bevor. Denn während bisher vor allem Augen und Ohren des Nutzers angesprochen wurden, geht es nun zunehmend auch um Nase (S. 96), Zunge (S. 97) und Tastsinn (S. 90). Was sich aus der Kombination der verschiedenen Sinneskanäle alles zaubern lässt, beginnen die Forscher gerade erst auszuloten.
Bereits zum Klassiker geworden ist ein Versuch der US-Psychologen Matthew Botvinick und Jonathan Cohen von 1998: Sie setzten ihre Versuchspersonen so an einen Tisch, dass eine Sichtblende die linke Hand verdeckte. Sichtbar daneben platzierten sie eine künstliche Hand aus Gummi. Streichelten sie die künstliche und die echte Hand gleichzeitig mit einem Pinsel, bekamen die Probanden das Gefühl, die Gummihand gehöre zu ihrem Körper – ein Zeichen dafür, wie leicht sich sogar die Wahrnehmung des eigenes Körpers täuschen lässt, wenn man auf der Klaviatur der Sinneskanäle die richtigen Akkorde anschlägt.
Seitdem wurde die „Rubber Hand Illusion“ mit vielen fantasievollen Versuchen weiter erforscht: Es gab Experimente mit Gummi-Armen, Gummi-Beinen, sogar mit Penis-Prothesen. Thomas Metzinger von der Philosophischen Fakultät in Mainz übertrug das Prinzip mit Forschern der ETH Zürich auf den ganzen Körper (siehe TR 3/2011, S. 40). Und Ivelina Piryan-kova vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen zeigte, dass sich Versuchspersonen sogar dann in einen virtuellen Avatar einfinden können, wenn dieser deutlich dicker oder dünner ist.
Der Trick funktioniert auch, wenn der Tastsinn durch einen anderen Sinneskanal ersetzt wird. Bielefelder Wissenschaftler um Irene Senna klopften leicht mit einem Hämmerchen auf die verdeckte Hand von Probanden und spielten dazu synchron das „Pling“ eines Werkzeugs vor, das auf Marmor schlägt. Die Versuchspersonen berichteten anschließend, ihre Hand fühle sich steifer, schwerer, härter und unnatürlicher an – also insgesamt „marmoriger“. Das geänderte Körperbild ging mit messbaren neurologischen Veränderungen einher: Wenn Versuchspersonen unter dem Eindruck der „Marmor Hand Illusion“ mit einer Nadel bedroht wurden, änderte sich ihr Hautwiderstand – ein Indiz für gesteigerte Erregung – stärker als bei einer Kontrollgruppe. Warum, ist bislang ungeklärt.
Die Fokus-Artikel im Einzelnen:
Seite 86 - Mit allen Sinnen: Durch Kombination verschiedener Sinne eröffnen sich ganz neue Welten
Seite 90 - Fühlen: Jetzt lässt sich auch der Tastsinn virtuell erleben
Seite 92 - Hören: Neue Klangtechnologien versetzen den Hörer in fast jeden erdachten Raum
Seite 96 - Riechen: Der Geruchssinn lässt sich nur schwer an der Nase herumführen
Seite 97 - Schmecken: Elektroden erzeugen Geschmackseindrücke von sauer bis salzig
Seite 98 - Sehen: Linsen mit eingebautem Teleobjektiv könnten Sehbehinderten helfen
Seite 98 - Gleichgewicht: Hilfe aus dem Weltraum für Patienten mit sensomotorischen Störungen
Seite 99 - Neuer Sinn: Interview mit Rin Räuber, die sich einen Magneten implantieren ließ
(grh)