Der Mitmach-Staat
Für Leute wie DeVeau Rosen ist Peer to Patent eine Möglichkeit, sich als Experte zu engagieren – und dabei womöglich auch zu verhindern, dass die Behörde schlecht begründete Patente anerkennt, die ihm in seinem eigenen Arbeits- oder Geschäftsfeld im Weg sein könnten. Für die Patentbehörde ist Peer to Patent ein Weg, um mit der Arbeitslast fertig zu werden, die mit der wachsenden Anzahl immer komplizierter werdender Patentanträge einhergeht.
Die "Peers" helfen dem Patentamt nicht nur mit ihrem Spezialwissen aus der Klemme. Was die Arbeit der Patentbeamten so schwierig macht, ist, das Unmögliche leisten zu müssen: Sie haben den Beweis zu erbringen, dass es niemals zuvor eine Erfindung wie jene gegeben hat, für die gerade ein Patent beantragt wird. Und sie müssen diese Aufgabe lösen, ohne dabei die Technik zu benutzen, auf die jeder andere in einem solchen Fall zurückgreift: Internet-Suchmaschinen. Die Daten, die bei Suchanfragen freigesetzt werden, könnten einiges über den Inhalt der Patentanträge verraten.
Zumindest in den ersten 18 Monaten des Beantragungsprozesses ist dieser Inhalt jedoch streng geheim. Sicherheitshalber ist für die Behörde der Zugang zu Suchmaschinen deshalb generell gesperrt. Die Bürger-Experten leisten dem Patentamt also schon wichtige Hilfe, indem sie einfach Google verwenden. Die Geheimhaltung ist dabei kaum gefährdet. Denn im Gegensatz zum gebündelten Datenverkehr der Patentbehörde lässt sich das Surfverhalten der vielen einzelnen Peers nur mit großem Aufwand ausspionieren.
Allein im ersten Jahr nahmen 2300 Amerikaner freiwillig an Peer to Patent teil; sie bearbeiteten 84 Anträge. Zwölf Prozent der Patentbeamten geben an, dass durch die Mithilfe von außen Material in Begutachtungsprozesse eingebracht worden sei, das den Behörden ansonsten unzugänglich geblieben wäre. 70 Prozent sprachen sich für eine Institutionalisierung der Hilfsbörse aus. Nach zweijähriger Laufzeit wurde das Projekt verlängert, seit Dezember gibt es Peer to Patent auch in Australien.
Ins Leben gerufen hat Peer to Patent Beth Noveck, eine Juraprofessorin an der New York Law School. "Die Schwachstelle in unserem gegenwärtigen politischen System ist, dass einzelne Personen eine enorme Entscheidungsmacht haben, ohne jedoch über die besten Informationen zu verfügen", beschreibt Noveck ihre Sicht der Ausgangssituation. Die entscheidende Frage laute also: "Wie kann man die Weisheit der Vielen mit den Institutionen der Entscheider verbinden?"
Die Weisheit der Vielen anzuzapfen ist auch das Ziel der Anfang Dezember gestarteten Open-Government-Initiative in den USA. Nach dem Vorbild von Peer to Patent sollen künftig alle Behörden mit neuen Partizipationsverfahren arbeiten. Erste Ansätze existieren bereits: Mittels des "IT Dashboard", einer Web-Plattform mit interaktiver Oberfläche, können Bürger mehr als 7000 Technologieinvestitionen des Staates analysieren und bewerten. Die Kleinstadt Manor in Texas ruft ihre Einwohner mithilfe einer internetbasierten "Ideenbörse" zum öffentlichen Brainstorming auf, um Reformideen für die Kommune zusammenzutragen. Dort wird zum Beispiel der Vorschlag laut, "mehr Fußwege" zu bauen, "ein Hunde-Auslaufgelände" bereitzustellen oder ein virtuelles Manor zu schaffen, wo sich Investoren und Gewerbetreibende anhand von Geländekarten darüber informieren können, wie Freiflächen in der Stadt bebaubar wären. Und die US-Gesundheitsbehörde lobte einen Preis für die beste Schweinegrippe-Präventions-Kampagne auf YouTube aus.
Eine Jury traf eine Vorauswahl aus den eingesendeten Spots; die Endauswahl besorgte das YouTube-Publikum. Gewinner war ein kurzer Film des New Yorker Hip-Hop-Sängers "Doktor Clarke".
Bei all dem geht es weniger um große Politik. "Jeden Tag werden von der Regierung scheinbar nebensächliche, tatsächlich jedoch wichtige Entscheidungen getroffen, die verbesserungsfähig sind", erklärt Beth Noveck, die heute als "Chief Technology Officer for Open Government" in Obamas Regierung arbeitet. Hilfe erwartet sie vor allem von einer kleinen Gruppe, die sie die "Mikro-Elite" nennt: Jene 5, 10 oder 100 Leute, die eine bestimmte Frage verstehen und denen es ein Anliegen ist, ihr Wissen einzubringen.