Was hinter der Entwicklung der Hyperschallwaffen steckt
Milliarden Dollar investiert
Wie Russland und China diese Probleme gelöst haben wollen, wie widerstandsfähig und wendig ihre Gleiter sind, bleibt das Geheimnis der beiden Länder. Siebenmal soll Chinas DF-ZF zwischen 2014 und 2017 Testflüge absolviert haben, bevor das Fluggerät im Oktober 2019 für einsatzfähig erklärt wurde. Russlands Avangard meisterte seinen letzten Testflug angeblich Ende 2018. Dabei soll der Gleiter aus 6.000 Kilometern Entfernung ein Ziel auf der Halbinsel Kamtschatka getroffen haben. Der Test sei "absolut erfolgreich" verlaufen, so Putin im russischen Fernsehen. "Da ist sicherlich viel rhetorisches Säbelrasseln dabei", sagt Franz-Stefan Gady vom International Institute for Strategic Studies. "Grundsätzlich muss man allerdings davon ausgehen, dass die Waffen ihre versprochenen Eigenschaften besitzen."
Bereits 2011 hatten die Amerikaner ihrerseits einen Hyperschallgleiter erprobt. Drei Jahre später explodierte das Fluggerät allerdings bei einem weiteren Testflug. Das Forschungsprogramm wurde eingestellt. Ab 2020 setzten die USA alles daran, wieder aufzuholen. 2020 wollte das Pentagon etwa 2,6 Milliarden Dollar in Hyperschallprojekte stecken. Auch neue Testflüge waren geplant. 2023 sollen dann zwei verschiedene Waffen einsatzbereit sein. Ein ambitionierter Plan.
Hyperschallwaffen mit eigenem Antrieb
Noch anspruchsvoller wird es, wenn die Hyperschallgeschosse nicht nur gleiten sollen, sondern über einen eigenen Antrieb verfügen – ähnlich den heutigen Marschflugkörpern. Möglich machen soll das ein sogenannter Scramjet: ein Flugzeugtriebwerk ohne die Turbinenschaufeln, die normalerweise Luft in die Brennkammer pressen. Diese Aufgabe soll bei fünffacher Schallgeschwindigkeit der Fahrtwind übernehmen.
Das Problem: Die Luft strömt mit Überschallgeschwindigkeit durch die Brennkammer. "Das ist, als würde man versuchen, ein Streichholz in einem 3.000 Stundenkilometer starken Sturm anzuzünden", schreibt Sicherheitsforscher Richard Speier in einer Analyse der Rand Corporation, einem verteidigungspolitischen Thinktank. "So etwas ist extrem schwer zu meistern." Zudem lässt sich ein Scramjet nicht im Stand starten, es fehlt der nötige Fahrtwind. Das Geschoss muss vielmehr mit einer Rakete oder einem Kampfjet zunächst auf Überschalltempo gebracht werden. Erst dann kann es eigenständig losfliegen.
Nach vielen Rückschlägen in der Vergangenheit haben es die Amerikaner 2019 geschafft, solch ein Triebwerk erfolgreich zu erproben – allerdings nicht im realen Betrieb, sondern auf einem Teststand mit Hyperschall-Windkanal. Die Russen wollen dagegen bereits über eine einsatzfähige Scramjet-Waffe verfügen: Ihre Zirkon-Rakete soll neunfache Schallgeschwindigkeit erreichen und künftig auf russischen Schlachtkreuzern zum Einsatz kommen. Westliche Analysten haben daran ihre Zweifel.
"Vorteil solcher Waffen wird überbewertet"
Bleibt die Frage: Können diese Waffen das militärische Gleichgewicht verschieben, wie Medienberichte immer wieder nahelegen? "Hyperschall ist ganz klar ein Hype", sagt der Politikwissenschaftler Franz-Stefan Gady. "Solche Waffen werden das Kräfteverhältnis zwischen den Großmächten nicht beeinflussen." Militärisch Sinn ergeben könnte nur der Einsatz auf kürzeren Distanzen, zum Beispiel gegen schwer zu verteidigende Flugzeugträger. Sicherheitsforscher Ivan Oelrich teilt die Skepsis. "Der Vorteil solcher Waffen wird überbewertet", schreibt er im "Bulletin of the Atomic Scientists". "Die meisten der angedachten Missionen ließen sich günstiger und mit weniger technischem Risiko durch modifizierte Interkontinentalraketen erreichen."
Insbesondere das Argument, Hyperschallwaffen seien unbezwingbar und daher ein Wendepunkt in der Kriegsführung, will Oelrich nicht gelten lassen. Denn auch atomare Interkontinentalraketen lassen sich nicht so einfach abwehren, wie der Begriff "Raketenschild" suggeriert. Das bestätigt auch Franz-Stefan Gady: "Die Abwehr von ballistischen Raketen funktioniert mehr schlecht als recht." Trotz Investitionen von 35 Milliarden Dollar gelinge es dem amerikanischen Raketenschild nicht, bei Tests mehr als 50 Prozent der Ziele abzuschießen. "Im Kriegsfall dürfte diese Trefferquote durch den Einsatz von Täuschkörpern und lenkbaren Einzelsprengköpfen – Technologien, die es seit Jahrzehnten gibt – noch weiter nach unten rasseln", sagt Gady.
Und was ist mit der Angst, die Amerikaner könnten künftig nervöser werden mit dem Abschussknopf ihrer Atomraketen, weil eine russische Armada aus Avangards auf einen Schlag sämtliche US-Raketensilos und strategischen Bomber auslöschen könnte? Dann hätten die Amerikaner noch immer ihre fast unverwundbare U-Boot-Flotte mit Nuklearwaffen für den Gegenschlag, sagt Gady. "Es gibt daher keinen logischen Grund für die Annahme, Russland oder die USA könnten wegen Hyperschallwaffen leichter einen Atomkrieg anzetteln."
Neuer Rüstungswettlauf
Trotzdem haben die russischen und chinesischen Aktivitäten einen neuen Rüstungswettlauf angezettelt – nicht nur bei den Waffen, sondern auch bei den Verteidigungsausgaben. Denn keine der Großmächte will bei neuer Militärtechnik hintanstehen und sich eine Blöße geben. Auch die Bedenken des Rand-Thinktanks, solche Waffen könnten vielleicht auch Schurkenstaaten in die Hände fallen, hat die US-Regierung ignoriert.
Der Forschungs-Staatssekretär des Pentagons, Michael Griffin, zuvor Nasa-Chef sowie einer der Architekten von Ronald Reagans gescheiterter Raketenabwehr aus dem Weltall, denkt stattdessen bereits über neue Satelliten nach, um die schwachen Signale der Hyperschallgleiter aufzuspüren. Und über Laser- und Mikrowellenwaffen, um die feindlichen Geschosse doch irgendwie abfangen zu können. Nach wie vor, so Griffin, gelte allerdings: Angriff ist die beste Verteidigung. Für die Amerikaner steht daher fest, wie sie der vermeintlichen Bedrohung durch Hyperschallwaffen begegnen wollen: mit noch mehr Hyperschallwaffen.
[Update v. 21.03.2022, 19:21 Uhr]: Bezug zu Ukraine-Krieg ergänzt. (wst)