Missing Link: Am Boden - nachhaltige Landwirtschaft und die Ernährung der Welt

Alles Bio? Oder was?

Inhaltsverzeichnis

Als Lösung fällt dem Verbraucher meistens zuerst der Bio-Landbau ein. Dieser zeigt der Studienlage nach tatsächlich eine ganze Reihe positiver Boden-Effekte gegenüber konventionell bewirtschafteten Böden. Bio-Felder enthalten im Schnitt 3,5 t mehr Kohlenstoff pro Hektar (siehe Enhanced top soil carbon stocks under organic farming), weil Bio-Methoden den Humusaufbau fördern. Das ist so, weil der Biobauer stärker auf organische Düngung und damit auf diversere Fruchtfolgen sowie die Tierhaltung achtet.

Anders als beim konventionellen Landbau setzen Biobetriebe auf ein- bis zweijährige Anbaupausen von Getreide, in denen Gras angebaut wird. Die Bodenruhe verschafft dem Boden eine Atempause und erhöht die Humusmengen. Gleichzeitig kann das Gras an die Tiere verfüttert werden und die organischen Ausscheidungen der Tiere später im Ackerbau eingesetzt werden. Dadurch sind die Böden in den Grasjahren besser bedeckt und die Rückführung von organischer Substanz ist erhöht, was für Humusbildung unabdingbar ist. Bio-Boden enthält 30 bis 85 Prozent mehr Bodenlebewesen, deren Artenvielfalt obendrein größer ist.

Die IFOAM (International Federation of Organic Agriculture Movements) hat 2016 berechnet, dass eine 100-prozentige Umstellung auf heute übliche Biobaumethoden bis 2030 zu einer Reduktion der landwirtschaftlichen CO2-Emissionen um 35 Prozent führen würde. Eine CO2-Senke würde es jedoch nicht.

Es gibt jedoch noch einen weiteren Aspekt des Biolandbaus: Er bringt pro Flächeneinheit weniger Ertrag. Erhebungen der Projektgruppe Ökolandbau der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) ergaben im Messbereich 2012 bis 2020 durchschnittliche Erträge von 48 Prozent der konventionellen Landwirtschaft, 47 Prozent beim wichtigsten deutschen Kalorienlieferanten: dem Weizen. Bei gleichbleibenden Ernährungsgewohnheiten bräuchten wir somit bis zu doppelt so viel Anbaufläche wie heute, um mit Bio satt zu werden. Der zusätzliche Landverbrauch frisst mögliche CO2-Einsparungen auf. Trotz all seiner anderen Vorteile ist der Biolandbau in seiner aktuellen Form als alleinige Antwort unzureichend, die anstehenden Probleme zu lösen.

Bis 2050 brauchen wir nach Schätzungen der UN für eine Weltbevölkerung von 9,8 Milliarden Menschen 50 Prozent mehr Lebensmittel. Die sollen am besten bei kleineren oder zumindest nicht größeren Anbauflächen produziert werden, damit nichtmenschlichem Leben noch Raum bleibt. Die UN nennt hier vor allem Aufforstungsprojekte, die lokale Klimabedingungen trotz Erderwärmung erträglicher machen sollen. Eine schwierige Problemstellung für den flächenintensiveren Bio-Anbau. Zum Ertragsrückgang kommen die höheren Kosten für Bioprodukte. Wir streben eine Welt an, der sich auch die breiter werdende Unterschicht zumindest ohne Mängel ernähren kann. Wie jede einfache Antwort auf eine komplexe Problemstellung taugt also auch "einfach alles bio" nicht viel. Die wertvollen wissenschaftlichen Erkenntnisse des Biolandbaus müssen zusammen mit den bewährten technologischen Möglichkeiten des konventionellen Landbaus auf alle Felder ("Hybrid-Landwirtschaft") übertragen werden; und der ideologische, esoterische Ballast der Biobewegung muss dazu in die Randbereiche von Spleen/Weltanschauung weichen.

Das Wort "Nachhaltigkeit" kann man innerhalb seiner semantischen Grenzen flexibel definieren. Übernehmen wir einmal die Definition: "Nachhaltig ist, was eine Weltbevölkerung mindestens 1000 Jahre lang tun kann, ohne daran zu sterben." Dieser nicht ganz willkürlich gewählte Zeitraum in Relation zur aktuellen Weltbevölkerung zeigt, dass es vorrangig darum gehen muss, Kreisläufe enger zu schließen, die heute weit offen sind, weil es bisher billig war, beziehungsweise: weil die Verursacher die externalisierten Kosten nicht tragen mussten. Fehlenden Stickstoffdünger aus Luft könnte man auch mit erneuerbaren Energien produzieren. Phosphatdünger dagegen stammt immer noch aus dem Bergbau. Die Vorräte sind auf absehbare Zeit erschöpft, der Verbrauch steigt stetig, Phosphatdünger stört Gewässer-Ökosysteme, in die es nicht in dieser Konzentration gelangen sollte. Das Phosphat sollte also in möglichst kleinen, möglichst geschlossenen Kreisläufen bleiben.

Die größten offenen Kreisläufe sind die des mineralgedüngten Futtermittelanbaus für Fleischvieh, das ganz woanders ausscheidet und noch einmal woanders gegessen wird, wodurch unsere (verzeihen Sie mein Französisch) Scheiße nicht im selben Biotop landet, in dem wir essen – Erosion durch die Toilette.

Mit dieser kraftvollen Duftnote als Schlussgedanken entlasse ich Sie ins Nachdenken über die naheliegenden, weil in der Problembeschreibung schon implizit enthaltenen Lösungsansätze. Weltweit arbeitet bereits viel zu wenig beachtet ein Heer von Menschen daran, nachhaltige Nahrungsmittelversorgungssysteme zu bauen. Von deren Ausgangsdaten, Beispielen, Methoden und Ansätzen für die Zukunft handeln die nächsten Teile dieser Serie.

(jk)