Missing Link: Joe Weizenbaum und die vergifteten Früchte des Wahnsinns
Vom Computerwissenschaftler zum Computerkritiker
Inhaltsverzeichnis
In der Folgezeit entwickelte sich Joseph Weizenbaum vom Computerwissenschaftler zum Computerkritiker und folgerichtig zum Kritiker einer Gesellschaft, die Computer produziert und die Berechnungen der Maschinen kritiklos akzeptiert. Der fulminante Einstieg in das Leben eines Computerkritikers lässt sich auf den Januar 1972 datieren, als in der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" Weizenbaums großer Aufsatz "Albtraum Computer" erschien, eine Abrechnung mit der Computertechnik generell, der KI-Forschung speziell und besonders dem Mythos vom fehlerfreien Programmieren.
Der Artikel war das Kondensat seines Vortrags zur Gründung des Instituts für Informatik an der Universität Hamburg. Weizenbaum erklärte das Problem so: "Der meiste Schaden, den der Computer potenziell zur Folge haben könnte, hängt weniger davon ab, was der Computer tatsächlich kann oder nicht kann, als vielmehr von den Eigenschaften, die das Publikum dem Computer zuschreibt. Der Nichtfachmann hat überhaupt keine andere Wahl, als dem Computer die Eigenschaften zuzuordnen, die durch die von der Presse verstärkte Propaganda der Computergemeinschaft zu ihm dringen. Daher hat der Informatiker die enorme Verantwortung, in seinen Ansprüchen bescheiden zu sein."
"Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft"
Unterschiedliche Cover seines einzigen Buches
Nachdem er für zwei Jahre von Forschung und Lehre freigestellt war, entstand 1976 das Hauptwerk von Joseph Weizenbaum, Computer Power and Human Reason, das auf Deutsch unter dem Titel "Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft" erschien. In diesem Buch finden sich viele Momente, die später Allgemeingut geworden sind, etwa die Beschreibung der Programmierer-Kultur, die für Außenstehende etwas leicht Irrsinniges hat oder die Kritik an den Versprechungen der Künstlichen Intelligenz.
Sein Anliegen formulierte Weizenbaum so: "Ohne Frage hat die Einführung des Computers in unsere bereits hochtechnisierte Gesellschaft, wie ich zu zeigen versuche, lediglich die früheren Zwänge verstärkt und erweitert, die den Menschen zu einer immer rationalistischeren Auffassung seiner Gesellschaft und zu einem immer mechanistischeren Bild von sich selbst getrieben haben." Ideengeschichtlich war Weizenbaum stark von Lewis Mumford und seinem Buch vom Mythos der Maschine beeinflusst.
Computer – zentrale Maschine des Informationszeitalters
Mumford begleitete die Entstehung von Weizenbaums Buch mit Rat und Tat und war laut Weizenbaum der einzige, der das komplette Werk vor dem Druck gelesen hatte. Mumford hatte in Technik und Zivilisation (fotografisches PDF) die Erfindung der mechanischen Uhr als die "entscheidende Maschine des Industriezeitalters" bestimmt. Analog dazu wurde für Weizenbaum der Computer zur zentralen Maschine des Informationszeitalters. Sein Buch beginnt mit längeren Zitaten von Mumford zur Rolle der Uhr, dann schrieb er: "Uhren sind im wesentlichen Modelle des Planetensystems. Sie sind die ersten autonomen Maschinen, die der Mensch gebaut hat, und bis zum Aufkommen des Computers sind sie auch die einzigen, die wirklich von Bedeutung waren."
Ähnlich wie mit den Uhren die Uhrzeit zur inneren Natur der Menschen wurde, wirken sich auch Computer auf die Psyche des Menschen aus. Programmierer, die nicht vom Computer loskommen, werden nach Weizenbaum Zwangsprogrammierer, mitunter von ihm auch als Hacker bezeichnet. "Es muss gesagt werden, dass nicht alle Hacker pathologische Zwangsprogrammierer sind. In der Tat, gäbe es nicht die – nach ihren eigenen Worten – höchst kreative Arbeit von Leuten, die den stolzen Titel 'Hacker' für sich beanspruchen, so hätten wir heute kaum die modernsten Simultanrechner, elektronische Übersetzer, Zeichner etc."
"Künstliche Neurosen"
Über weite Strecken hinweg beschäftigte sich Weizenbaum in dem Buch mit der Künstlichen Intelligenz, wie sie seinerzeit von den Wissenschaftlern definiert wurde, die an einem mehrwöchigen Workshop am Dartmouth College teilnahmen. Unter dem Titel "Künstliche Neurosen" berichtete die Philosophin Margaret Boden über den Workshop: "Freud hat gezeigt, dass der Mensch neurotisch programmierbar ist, jetzt müssen nur noch die Computer die entsprechenden Programme haben, um sich mit dem Menschen verständigen zu können." Diese Einschätzung war es, die Weizenbaum als Unvernunft bekämpfen wollte.
Sein Buch wurde von den Vertretern der harten KI entsprechend kritisiert. "Das unvernünftige Buch ist genauso wirr und schlecht wie Eliza, es ist an der Zeit, festzuhalten, dass der Computer eine unschuldige Maschine ist", donnerte John McCarthy 1976 in der "Creative Computing". Die geharnischte Kritik "erschien zuerst als öffentliche Datei in dem ARPA net", so die Herausgeber der Zeitschrift in einer Fußnote. Gut möglich, dass der Aufsatz von McCarthy die erste Buchkritik im Internet darstellte. Ein anderer Kritker, der MIT-Informatiker Michael Dertouzos stritt sich mit Weizenbaum im Fernsehen.