Neu-Erfindung der Vergangenheit
Walter Günther entwirft Dampfmaschinen, um Würste automatisch zu grillen, und Töpfe, die melden, wenn die Kartoffeln gar sind. So altmodisch seine rein mechanischen Werke wirken, es hat sie so nie zuvor gegeben. Ein Besuch in der paradoxesten Erfinderwerkstatt Deutschlands.
- Robert Thielicke
Walter Günther entwirft Dampfmaschinen, um Würste automatisch zu grillen, und Töpfe, die melden, wenn die Kartoffeln gar sind. So altmodisch seine rein mechanischen Werke wirken, es hat sie so nie zuvor gegeben. Ein Besuch in der paradoxesten Erfinderwerkstatt Deutschlands.
Die Welt der glitzernden Displays ist in diesem Keller weit weg. Er liegt in einem 100 Jahre alten Backsteinhaus im Frankfurter Nordend, eine Treppe an der Außenseite führt hinunter. Walter Günthers Werkstatt ist etwa 15 Meter lang und drei Meter breit. Von diesen drei Metern bleibt allerdings höchstens ein Meter als Gang übrig, der Rest ist vollgestellt mit Drehbänken, Werkzeugtischen, Regalen voller Rohre, Drähte, Schrauben, Blechkanister. Als hätte der gelernte Schlosser die Konkursmasse aller Handwerksbetriebe seines Viertels eingesammelt. Es riecht wie in alten Industriehallen: nach Metall. "Ich mochte das Material schon immer", erzählt der gelernte Schlosser. "Während der Ausbildung mussten wir zur Übung ganze Metallblöcke mit der Feile bearbeiten. Alle haben das gehasst, nur ich nicht."
Heute konstruiert er aus dem Eisen Apparate, die zeigen, was in modernen Geräten nahezu unsichtbar ist: Wie Maschinen funktionieren, wie ihre Teile ineinandergreifen und eines zum anderen führt. "Diese Mechanik hat mich von Kind an fasziniert." So entstehen Geräte, die Korken selbstständig ziehen, oder Grillautomaten, die Würste über dem Feuer wenden.
Der 51-Jährige ist damit einer der paradoxesten Erfinder Deutschlands: Er konstruiert Apparate, die aussehen wie von gestern – und trotzdem noch nie dagewesen sind. Er baut die Vergangenheit nicht einfach nur nach, sondern entwickelt sie weiter. "Es gibt Erfindungen, die vergessen wurden", sagt er. "Und es gibt Erfindungen, die vergessen wurden zu machen."
Neu-Erfindung der Vergangenheit (7 Bilder)

Im Bastelraum
(Bild: Matthias Wenger)
Wenn ihm etwas einfällt, "recherchiere ich, ob es das bereits gegeben hat". Günther wälzt alte Warenkataloge und spricht "mit ein paar alten Hasen" vom Patentamt. Findet er nichts seiner Idee Vergleichbares, beginnt er mit der Konstruktion.
Leben kann er von seinen Werken nicht, auch wenn das Nostalgie-Kaufhaus Manufactum einmal angefragt hatte, ob es seinen Kerzenhalter vertreiben dürfe, der die Kerze immer wieder von allein nachschiebt. "Aber sie hätten mir nur vier Euro pro verkauftes Exemplar bezahlt, und gefertigt hätten sie es in Estland. Da wollte ich nicht." Deshalb leitet Günther nach wie vor eine Projektgruppe in der Behinderteneinrichtung Praunheimer Werkstätten.
Verwendung finden seine Schöpfungen dennoch. Der Bratwurstgrill etwa kommt regelmäßig bei Festen zum Einsatz. Momentan spielt Günther mit dem Gedanken, ihn durch eine Glühwein-Maschine zu ergänzen. Angetrieben von einem Stirling-Motor, würde sie nicht nur den Topfinhalt umrühren, sondern auch automatisch ausschenken, wenn jemand seinen Becher auf eine dafür gedachte Vorrichtung stellt. Der Erfinder wäre seinem Traum einen Schritt näher: einer vollmechanischen Küche. In ihr würde dann auch der Aldentomat einen Platz finden: Der Spezialtopf meldet mit lautem Pfeifen, wann die Kartoffeln oder das Gemüse gar sind.
Homepage von Walter Günther: www.die-mechanische-bratwurst.de (rot)