Systemmanagement im alten Ägypten
Systemmanagement im alten Ägypten
„Polizeiermittung“ nennt es Houdin scherzhaft. Herausgekommen ist dabei eine ziemlich einleuchtende Rekonstruktion, wie die Cheops-Pyramide innerhalb so kurzer Zeit ohne Hightech-Mittel entstanden sein könnte. In der ersten Bauphase erfolgte die Anlieferung der Blöcke über eine äußere Rampe. Gezogen wurden sie auf Holzschlitten, als Schmiermaterial diente unter anderem Nilschlamm. 80 Prozent der Steinblöcke wurden direkt am Rande des Gizeh-Plateaus herausgebrochen, nur einige hundert Meter von der Baustelle entfernt. „Die Pyramide wurde quasi in einem Steinbruch errichtet“, sagt Houdin. Der Kalkstein für die Fassade, aus Toura, sowie einige gewaltige Granitblöcke aus Assuan wurden per Schiff zu einem vor Ort angelegten Hafen gebracht.
Nach neun Jahren hatte die Pyramide eine Höhe von 24 Metern erreicht, im Inneren war bereits die Grabkammer für die Königin vollendet worden. Die äußere Rampe wurde noch weitere fünf Jahre genutzt, bis der Pyramidenstumpf 43 Meter aufragte und damit die Höhe erreicht hatte, in der die königliche Grabkammer errichtet werden sollte. Während dieser Phase hatten die Baumeister, so Houdins Gedanke, bereits die „innere Rampe“, immer dicht hinter der Fassade ansteigend, mit anlegen lassen. Auch die so genannte Galerie, die in einem Winkel von 25 Grad zur Königskammer hin ansteigt, war bereits angelegt.
Genau an diesem Punkt weicht Houdins Hypothese von der landläufigen Erklärung ab. Denn die äußere Rampe immer weiter hochzuziehen, hätte bedeutet, sie über einen Kilometer und länger hin auszudehnen, um einen moderaten Steigungswinkel zu erhalten. Auch wäre ihr Volumen am Ende dem der Pyramide selbst gleichgekommen. Der Aufwand hätte sich aber nicht gelohnt, denn in dieser Phase waren bereits über 70 Prozent des Pyramidenvolumens verbaut. „Die Ägypter gingen aber sehr ökonomisch mit ihrem Material um“, ist sich Houdin sicher.
Die äußere Rampe habe zu diesem Zeitpunkt nur noch einen letzten Zweck erfüllt: nämlich die gewaltigen Granitquader anzuliefern, mit denen die Königskammer abgedeckt wurde. Die stellten die einzige Möglichkeit dar, die restlichen Gesteinsmassen über dem Hohlraum zu tragen, ohne einzustürzen. Um die 50 bis 60 Tonnen schweren Steine auf die Arbeitsplattform zu hieven, hätten die Baumeister in der Galerie ein 25 Tonnen schweres Gegengewicht aus Holzbalken und Steinen installiert, das über enorme Taue mit den Granitblöcken verbunden war, vermutet Houdin. Entriegelte man das Gegengewicht, konnte es beim Hinabgleiten durch die Galerie helfen, den Granit auf das Level von 43 Metern zu ziehen – ähnlich wie ein Gegengewicht in einem Fahrstuhlschacht die Kabine anhebt. An den Wänden der Galerie seien noch Schleifspuren sichtbar, sagt Houdin, die von dieser Konstruktion herrühren könnten.
Das Material für den Rest der Pyramide ist dann über die innere Rampe angeliefert worden, während die äußere Rampe zurückgebaut wurde. Tatsächlich war die innere Rampe nicht spiralförmig, sondern knickte an den Kanten der Pyramide im rechten Winkel ab. Wie aber bekamen die Arbeitstrupps die Steine um die Ecke? Auch hierfür hat Houdin eine Erklärung: Diese Stellen habe man zunächst freigelassen, um Stellplatz für eine große Hebevorrichtung zu bekommen. Wurde ein Block angeliefert, könnte eine Gruppe von Arbeitern diesen über einen Hebelbalken ein wenig angehoben haben, während eine Person den Holzschlitten des Blockes um 90 Grad drehte. Dann konnte er den nächsten Gang der inneren Rampe hochgezogen werden.