Von Überschall und Unvernunft

Seit dem Aus der Concorde träumt die Branche von einer Renaissance des Überschall-Reiseflugs. Inzwischen ist tatsächlich eine neue Generation in der Entwicklung. Warum nur?

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Von
  • Udo Flohr
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Wenn man in einem halben Jahrhundert keine maßgeblichen Fortschritte erzielt – sollte man es dann nicht bleiben lassen? Schon 1966 erreichte ein Militärjet, der US-Aufklärer SR-71 "Blackbird", mit 3529 Stundenkilometern die 3,36-fache Schallgeschwindigkeit (Mach 3,36) – Weltrekord für normale Flugzeuge. Theoretisch hätte er also unter zwölf Stunden die Erde umrunden können. Drei Jahre später hatte die Überschall-Passagiermaschine Concorde ihren Erstflug.

Doch der vermeintliche Beginn einer neuen Ära des Luftverkehrs entpuppte sich als reiner Ingenieurstraum – und endete mit einem Drama. Nur 16 Exemplare wurden gebaut. 2000 stürzte eine Concorde nach dem Start ab, nachdem ein Triebwerk durch den Einschlag herumfliegender Teile eines geplatzten Fahrwerkreifens in Brand geraten war. 113 Menschen starben. 2003 wurde die Concorde ausgemustert. Der Traum vom Überschallreisen war am Ende.

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Nun soll er erneut beginnen. Start-ups, große Flugzeugbauer oder die Nasa tüfteln an einer neuen Generation supersonischer Reiseflugzeuge. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) will dafür sogar die Erde hinter sich lassen. Wie ein Spaceshuttle soll der SpaceLiner mit einer Trägerrakete senkrecht starten und bis knapp vor die Weltraumgrenze beschleunigen. Auf etwa 80 Kilometern Höhe würden 50 Passagiere und zwei Besatzungsmitglieder dann im Gleitflug mit bis zu zwanzigfacher Schallgeschwindigkeit auf ihr Ziel zustürzen. Australien wäre von Europa in 90 Minuten erreichbar, Kalifornien in 60.

Dank des Treibstoffs aus flüssigem Sauerstoff und Wasserstoff stieße der SpaceLiner weder CO2 noch Stickoxide aus und würde damit sogar die Umwelt schonen. Noch müssen Reisende jedoch etwas warten: DLR-Projektleiter Martin Sippel kann sich eine Inbetriebnahme um 2050 vorstellen.

Greifbarer scheint der Flieger der US-Firma Boom Technology. Das Entwicklerteam aus Colorado präsentierte im November 2016 seinen zweisitzigen Demonstrator XB-1. Testflüge sollen Ende 2017 beginnen. Der "Baby Boom" ist die um zwei Drittel verkleinerte Version eines Passagierjets, dessen Markteinführung Boom bereits für 2023 verspricht. Mit Mach 2,2 würde er die doppelte Schallgeschwindigkeit der Concorde knapp übertrumpfen. Hochkarätige Ingenieure scheint Gründer Blake Scholl bereits mit seinem Traum angesteckt zu haben.

Einige seiner rund zwei Dutzend Mitarbeiter warb der frühere Amazon-Manager bei der Nasa, Boeing und Lockheed ab. Sie scheinen überzeugt zu sein, die großen Probleme des Überschallreisens besser lösen zu können als seinerzeit die Concorde-Entwickler Aérospatiale und British Aircraft Corporation. Wenn sie sich da mal nicht täuschen.

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Das DLR arbeitet an einem neuen Überschallflugzeug. Der SpaceLiner sieht eher aus wie eine Rakete. Der untere Teil dient vor allem als Treibstofftank, wird vor dem Gleitflug ausgekoppelt und soll wieder zu Boden gleiten.
(Bild: DLR)

Erste Herausforderung: die Hitzemauer

Sie ist noch die einfachste. Der höhere Luftwiderstand beim Überschallflug erhitzt die Außenhaut auf 150 Grad Celsius und mehr. Gewöhnliches Aluminium, wie es immer noch im Flugzeugbau Verwendung findet, wird dabei weich. Die Concorde nutzte daher spezielle – aber auch teure – Legierungen. Trotzdem wurde der Flieger während des Flugs um 30 Zentimeter länger. Im Innenraum traten Spalte auf, in die eine Hand passte.

Zwecks Kühlung der Struktur pumpte ein ausgeklügeltes System den Treibstoff ständig zwischen verschiedenen Tanks hin und her. Der Boom-Entwurf sieht der Concorde zwar verdächtig ähnlich, setzt aber auf hitzebeständige Verbundwerkstoffe. "So kommen sie ohne Kühlung aus und sparen Gewicht sowie Kosten", meint Josef Klevanski, DLR-Spezialist für Über- und Hyperschall.

Zweite Herausforderung: der Laute Knall

Schon sie ist ungleich schwerer. Er entsteht, wenn sich ein Körper mit Überschallgeschwindigkeit durch ein Medium bewegt. Dabei bilden sich Stoßwellen. Der Überschallknall ist eine hörbare Auswirkung davon. Bei längeren Flugzeugen treten die kegelförmigen Verdichtungswellen an Bug und Heck auf, daher kommt es zum typischen Doppelknall. Er entsteht nicht beim Durchbrechen der Schallmauer, sondern ist entlang der gesamten Flugstrecke zu hören – wo immer die Wellen den Boden streifen. Über bewohntem Gebiet ist das in der Regel nur Militärjets erlaubt. British Airways und Air France ließen die Concorde deshalb bevorzugt zwischen Küstenstädten verkehren.

Um mehr Flugrouten zu öffnen, betreibt die Nasa zusammen mit Lockheed Martin das Forschungsprojekt QueSST (Quiet Supersonic Technology). Die Entwickler wollen die Stoßwellen besser verteilen, damit sie das Ohr als sanfteres Wummern erreichen – sehr freundlich umschrieben als Herzschlaggeräusch. Unter anderem sieht das QueSST-Design dafür eine extrem lange Nase vor, eventuell im Flug ausfahrbar. Erkenntnisse, wie leise der Knall tatsächlich wird, fehlen jedoch. "Ganz vermeiden lässt er sich nicht", sagt DLR-Experte Klevanski.