Auf den Spuren der Maus
Während Eye Tracking mit großem Aufwand verbunden und nur im Usability-Labor zu realisieren ist, funktioniert Mouse Tracking mit jedem Nutzer in dessen realer Umgebung. Ob die erhobenen Daten ebenso wertvoll sind, hängt vom Betrachtungsgegenstand ab, meinen die Experten.
Es ist ein merkwürdiger Fehler, der sich da auf der Registrierungsseite von Otto eingeschlichen hat. Gibt der Nutzer seine gesammelten Daten ein und klickt hernach mit der Maus auf den Knopf zum Anmelden, geht alles klar. Drückt er aber die Enter-Taste, zeigt das Formular einen Fehler an. Man solle bitte die Telefonnummer korrigieren, obwohl sie korrekt ist. In unterschiedlicher Formatierung mit und ohne internationale Vorwahl bleibt das Ergebnis immer gleich: Maus funktioniert, Tastatur nicht.
Wie entdeckt ein Site-Betreiber einen solchen Fehler? In erster Linie könnte man eine erhöhte Abbruchrate auf dem Formular feststellen. Gehen die Nutzer bis hierhin, aber nicht weiter, haben sie entweder Schwierigkeiten fortzufahren, oder sie haben den Warenkorb nur zum Test gefüllt, um beispielsweise den Endpreis inklusive Versandkosten zu ermitteln. Die Abbruchquote für die gesamte Seite mag hier aber nicht genügen. Eventuell ist den Nutzern der Kauf so wichtig, dass sie es erneut und diesmal mit der Maus probieren und erfolgreich sind. Der Enter-Fehler erzeugt in diesem Fall eine leichte Irritation, mehr aber nicht.
Willkommen in der wunderbaren Welt des Mouse Tracking. Diese Methode ist wie geschaffen, Stolpersteine in Formularen aufzuspüren. Sie erkennt nicht nur die Mausbewegung und Klick- oder MouseOver-Events, sondern sie analysiert außerdem alle Eingaben von der Tastatur und kann Formulare bis ins einzelne Feld „beobachten“. Somit könnte als kritischer Analysewert die Fehlermeldung erkannt werden, die der Server beim Senden des Formulares abgesetzt hat. Segmentiert man nun die Benutzer, bei denen der Fehler auftrat, dürfte man sehen, dass viele davon unmittelbar vor dem Erscheinen der Meldung die Enter-Taste gedrückt haben.
Formulare sind die Sensibelchen des Web
Zugegeben: Das ist ein marginaler Fehler. Aber Formulare gehören zu den sensibelsten Gebilden von transaktionsorientierten Websites, vor allem solchen, die Produkte verkaufen oder Leads generieren wollen. Bewirkt das Formular nicht das, was der Nutzer erwartet, wird dieser schnell misstrauisch. Wenn Websites nicht wie erwünscht funktionieren, drängt sich eventuell der Verdacht auf, dass das Unternehmen in puncto Datenschutz wenig Sorgfalt walten lässt.
Oder die Fehlfunktion hat so gravierenden Einfluss auf den Kaufprozess, dass sich der Nutzer frustriert abwendet. Das kann beispielsweise bei Reifen.com passieren. Das einfache Interface im Kopf der Seite hat tatsächlich eine 50-prozentige Fehlerquote. Sucht der Nutzer zuerst einen Reifentyp aus und stellt die Daten zu Größe und Querschnitt ein, geht alles glatt. Verfährt er aber umgekehrt, verwirft das Formular die erste Eingabe und zeigt Reifen in völlig falscher Größe.
Ein interessantes Problem hatte der französische Onlineshop von bonprix. Dort gab es im Formular eine automatische Weiterschaltung. Die setzte ein, wenn die Felder eine festgelegte Zeichenzahl hatten, etwa beim Geburtsdatum. Direkt darunter befindet sich das Feld „Appartement“. In genau diesem Feld stellte die Formularanalyse eine große Menge an Fehleingaben fest. Schuld daran war aber das Feld davor. Hatte der Nutzer während der Eingabe des Geburtstags nicht auf den Bildschirm geschaut, sondern per Tabulator-Taste weitergeschaltet, so übersprang der Cursor ein Feld, und das Geburtsjahr mutierte plötzlich zur Wohnungsnummer. Im aktuellen Shop verzichtet bonprix auf die automatische Weiterschaltung.
Einen repräsentativen Querschnitt beobachten
Das Prinzip des Mouse Tracking ist simpel: In der Regel schreibt der Sitebetreiber eine Zeile JavaScript-Code in den Kopf der zu testenden Seite. Kommt nun ein neuer Nutzer auf die Seite – meist wird nur ein repräsentativer Querschnitt beobachtet – baut der JavaScript-Code die Verbindung zum Server des Tracking-Dienstleisters auf. Dieser zieht statische Daten wie die Konfiguration des Nutzer-Systems oder die URL der geladenen Seite und startet die Mausverfolgung innerhalb eines Koordinatengerüsts. Damit die Ladezeiten der Seite nicht leiden, steht der Code ganz am Ende des Quellcodes.
iX-TRACT
- Zu den Mitteln der Nutzeranalyse gehört das Mouse Tracking, das dabei hilft, die Wege der Surfer nachzuvollziehen.
- Vor allem Klicks und Tastatureingaben bei Formulareingaben eignen sich, das Nutzerverhalten auf unvorhergesehene Abbrüche etwa des Kaufvorgangs zu untersuchen.
- Kostenlose und kommerzielle Werkzeuge unterstützen Unternehmen beim Einsatz des Mouse Tracking.
Ausgereifte Systeme speichern sogar den DOM-Tree, eine spezifische Untergruppe der Webseite, die den jeweils aktuellen Inhalt repräsentiert. Das ist besonders bei dynamischen Seiten wichtig, da diese zum Zeitpunkt des Playback vermutlich nicht mehr so aussehen wie zum Zeitpunkt der Aufzeichnung. Mit dem DOM-Tree kann der Tracking-Server die Originalseite wieder herstellen. m-pathy nutzt ein solches Verfahren und ist deshalb in der Lage, komplette Sessions zu speichern. So kann der Sitebetreiber noch zu einem späteren Zeitpunkt in die jeweiligen Sessions eintauchen und dem Nutzer über die Schulter schauen.
Apropos Schulter: Ein Kriterium bei der Auswahl des Dienstleisters sollte die Unterstützung einer SSL-Verschlüsselung sein. Das ist besonders beim Tracking des Bezahlvorgangs im Shop entscheidend.
Im Kanon der Usability-Testmethoden hat Mouse Tracking einen umstrittenen Ruf. Die Puristen unter den Usability-Testern sind sich methodisch nicht sicher, inwieweit die Bewegung der Maus und die Aufmerksamkeit der Nutzer miteinander korrelieren. In Situationen, in denen der Anwender beispielsweise Informationen oder einen Artikel liest, steht die Maus ebenso still, wie wenn er sich gerade einen Kaffee holt. „Nicht ganz“, erwidert Juliane Hartmann, Managing Director bei m-pathy. „Wir können zum Beispiel das Scroll-Verhalten der Nutzer messen. Dadurch lässt sich sagen, ob ein Nutzer eine Werbung unten in einer Seite überhaupt gesehen hat.“
In der Praxis spielt das allerdings eine untergeordnete Rolle. Tatsächlich konzentriert sich das Mouse Tracking vor allem auf stark interaktive Systeme: immer dort, wo es um Transaktionen geht. Neben Registrierung und Lead-Generierung handelt es sich um Bereiche, in denen Navigation eine besondere Rolle spielt. Per Mouse Tracking kann man herausfinden, ob der Nutzer gar nicht klickbare Elemente anklickt. So sind beispielsweise in der Shop-Startseite von Apple die Bilder der Produkte nicht klickbar, sondern nur die Buttons „Jetzt kaufen“. Sollte der Nutzer versehentlich auf ein Bild klicken, wäre es vielleicht eine gute Strategie, hinter jedem einen Link zu platzieren.
Nutzlose Brotkrümel-Navigation
Augenfällig ist das in der „Brotkrümel-Navigation“ im Kopf einer Seite. „Im Checkout eines Onlineshops zeigt der Server oft die Schritte an, die der Nutzer durchwandern muss“, erläutert Hartmann. „Typisch, dass die Nutzer hier klicken, um zum Beispiel zu einem früheren Bestellschritt zurück zu wechseln.“ So ist das etwa bei Dell. Will der Nutzer einen vorangegangenen Schritt korrigieren, muss er auf den Back-Button des Browsers klicken, der allerdings vorbildlich funktioniert, im Gegensatz zur Enter-Taste.
Es gibt freilich noch eine weitere Ebene, auf der Mouse Tracking zum Einsatz kommen kann: wenn Systeme Maus- und Tastaturereignisse erkennen, und darauf reagieren. Man stelle sich ein Bewertungssystem vor. Klickt der Surfer auf einen oder zwei Sterne, statt auf vier oder fünf, könnte die Software sofort reagieren und ein Popup mit einer Nachfrage einblenden. Darin könnte man dem Nutzer gleich ein Kontaktformat wie Telefon, Chat oder E-Mail anbieten. Ähnlich funktioniert das Event-Tracking innerhalb von Umfragen. Hier kann das System nachfolgende Fragen an die Optionen anpassen, die der Anwender vorher ausgewählt hat.
Fazit
Die Korrelation zwischen Auge und Maus auf einer Website ist nach wie vor nicht ausreichend erforscht. Studien von Google, der Carnegie Mellon University und eine Diplomarbeit, die m-pathy unterstützte, weisen aber darauf hin, dass die Korrelation umso stärker wird, je interaktiver der Nutzer mit einer Site umgeht.
Folglich ist Mouse Tracking eine gute Methode, um Konfiguratoren, Buchungssysteme, Online-Software oder Shop-Checkouts und Lead-Generierung zu analysieren. Es geht im Wesentlichen um die drei Fragen:
– Was klicken die Nutzer, das nicht klickbar ist?
– Was klicken die Nutzer nicht, obwohl sie es sollten?
– Was machen Nutzer in Formularen?
Diese Fragen kann Mouse Tracking gut beantworten. Conversion-Doktor Gabriel Beck nutzt in seiner täglichen Kundenarbeit ClickTale als Werkzeug (siehe Kasten): „Mouse Tracking kann einen schnellen Überblick darüber liefern, wie ein Nutzer mit der Website interagiert. Das sollte sich jeder Webdesigner mal angesehen haben.“
(hb)
Frank Puscher
arbeitet seit 20 Jahren als Berater, Autor und Journalist im Onlinemarketing. Er wohnt mit seiner Familie in Hamburg.
Alle Links: www.ix.de/ix1303094
Tools fürs Mouse Tracking
Crazy Egg: Schnell zu installieren. Crazy Egg verzichtet auf explizite Formularanalyse, bietet aber Heat, Scroll und Klick Maps an. Letztere sind durch Filter segmentierbar. MouseOver-Ereignisse werden nicht analysiert, es geht nur um Klicks. Die ersten 30 Tage sind kostenlos, danach fängt es bei 9 US-$ pro Monat an.
Mouseflow: Heat, Visibility Maps und Formularanalyse. Mouseflow gibt es als kostenlose Test- oder Vollversion mit Geld-zurück-Garantie. Wer sich einen ersten Überblick über die Methode verschaffen will, klickt auf Demo. Die zeichnet die aktuelle Session auf und spielt sie sofort ab. Offensichtlich wird das Drücken von Enter- und Tabulator-Taste nicht sichtbar gemacht. Die ersten 100 aufgezeichneten Sessions sind kostenlos, bei mehr zahlt man ab 10 Euro pro Monat.
m-pathy: Vermutlich das leistungsfähigste Gesamtsystem mit Filtermöglichkeiten zur tiefen Nutzer- und Eventsegmentierung. Durch die Vielzahl an Kunden können die Dresdner auch Muster erkennen, die sich Website-übergreifend wiederholen. Eines davon ist das Lostness-Muster, wenn der Mauszeiger in großen Bewegungen ziellos über die Seite huscht. Kein Trial. m-pathy setzt auf individuelle Beratung. Das Projekt beginnt bei 10 000 Euro.
Clickdensity: Reine Klickmessung. Trial mit bis zu 5000 Klicks kostenlos. Die Klicks werden in Form von Heat oder Klick Maps visualisiert. Dazu gibt es Hover Maps für MouseOver-Effekte. Das Tool ist vor allem hilfreich, wenn man vermutet, dass Nutzer etwas anklicken, das sie nicht klicken sollen. Preise beginnen bei 75 Euro im Monat.
ClickTale: Umfassende Lösung mit Heat Maps, Filtermöglichkeiten, Echtzeitmonitoring und integrierter Webanalyse. Trial für 400 PIs kostenlos. Auch ClickTale trifft keine dezidierten Aussagen in Bezug auf die Preise für Firmenkunden. Die sind Verhandlungssache. Als spannend könnte sich eine Neuentwicklung erweisen. In einer strategischen Partnerschaft mit Optimizely will ClickTale die eigene Technik in das A/B-Testing integrieren. Wenn das funktioniert, weiß der Sitebetreiber nicht mehr nur, welche Variante besser ist, sondern er bekommt außerdem einen Hinweis darauf, warum das so ist.
ClickHeat: Software zur Messung von Klicks auf HTML-Seiten. Die Darstellung erfolgt in Form von Heat Maps. Das System wird auf dem eigenen Webserver installiert. Letztes Update von Ende 2011. Kostenlos.
etracker: Visitor Motion startet als kostenlose Variante mit maximal 100 PIs im Monat oder als voll funktionierende Testversion für 21 Tage. Das Tool bietet Formularanalyse, Heat Maps und speichert die Session als Videos bis zu acht Wochen. Spannend an dem Konzept ist die Integration mit der Webanalyse von etracker. Sie kann über Abbruchraten berichten, die anschließend Visitor Motion analysiert. Das ausgewachsene System kostet ab 49 Euro pro Monat.