Interview: "Große Bedenken, auf Mastodon zu setzen – aus technischer Sicht"

Bleibst du dran oder ist die Idee jetzt verworfen?

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Golo: Wir haben die Evaluierung von Mastodon vorerst gestoppt und (für uns) für gescheitert erklärt. Uns ist das zu heikel, und ehrlich gesagt konterkarieren genau solche technischen Unzulänglichkeiten das, was ich vorhin gesagt habe, nämlich, dass es im Sinne eines dezentralen Systems sein müsste, dass es möglichst viele kleine und unabhängige Instanzen gibt. Wenn man das erreichen möchte, dann muss die Einstiegshürde möglichst niedrig liegen, und davon ist Mastodon leider sehr weit entfernt.

Was bräuchte es, damit das besser klappt?

Golo: Damit das im großen Stil funktioniert, bräuchte man ein Mastodon, das aus einem Binary besteht, das man herunterladen und starten kann, bei dem man lediglich ein paar Umgebungsvariablen oder CLI-Flags setzen muss, und das war’s. Und natürlich müsste das Ganze auch vernünftig dokumentiert sein. Ich weiß, dass ich da gerade "wünsch Dir was" spiele und eine solche Software nicht einfach vom Himmel fallen wird. Aber die Frage war ja, was es bräuchte. Wenn es eine solche Software gäbe und die dann kostenpflichtig wäre, wäre ich auch gerne bereit, dafür zu bezahlen. Das mag eine unpopuläre Meinung sein, aber mir ist Open Source nicht sympathischer, nur weil es kostenlos ist.

Gute Software darf gerne Geld kosten. Immerhin steckt da auch eine Menge Zeit und Arbeit drin. Und sobald es kostenpflichtig wird, steigen die Chancen dafür, dass die Software langfristig und vor allem auch für die Entwicklerinnen und Entwickler nachhaltig entwickelt werden kann, dramatisch. Das ist bei Open Source ja auch nicht anders, nur fällt die Finanzierung dort nicht so sehr auf, weil es beispielsweise über Spenden von großen Unternehmen im Hintergrund läuft. Aber dieser Ansatz funktioniert eben nicht für alle Open-Source-Projekte.

Was ist denn der Kern des Problems?

Golo: Unterm Strich merkt man an der Stelle, dass Mastodon eigentlich noch gar nicht für eine dermaßen hohe Verbreitung geeignet war, und es im Prinzip über Nacht von einem Hype überrollt worden. Das tut mir für den federführenden Entwickler hinter Mastodon, Eugen Rochko, sehr leid, denn eigentlich trägt er etwas dazu bei, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, nur ist ein Projekt in dieser Größenordnung schwierig mehr oder weniger allein zu stemmen. Und deshalb ist mir auch wichtig zu betonen, dass ich ihm aus alldem keinen Vorwurf machen möchte – es sind zunächst einmal technische Feststellungen.

Inzwischen sind ja auch Bundesbehörden, Hochschulen, Presse und Medien zu Mastodon umgezogen oder haben dort einen Zweitwohnsitz eingerichtet. In Anbetracht deiner sehr grundsätzlichen Kritik interessiert mich eins brennend: Hat Mastodon trotzdem das Potenzial, Teil der kritischen Infrastruktur zu werden – oder ist es das schon?

Golo: Im Moment sehe ich weder das eine noch das andere. Ja, Mastodon wird verwendet, aber im Vergleich zu Twitter ist es immer noch eine sehr kleine Nische. Wie lange die einzelnen Instanzen sich halten werden, bleibt abzuwarten. Immerhin muss jede Instanz betrieben und gepflegt werden, was Zeit kostet, das heißt, irgendwer muss sich darum kümmern. Das kann man mit einem Bezahlmodell verknüpfen (und das machen ja auch einige Instanzen), aber ob das tragfähig ist, ob das ausreicht, ob das langfristig über Jahre funktioniert, das werden wir noch sehen.

Nun hast du ja Mastodon mit Blick auf die Sicherheit unter die Haube geschaut. Wo siehst du das größte Risiko?

Golo: In Anbetracht meiner eben ausgeführten technischen Zweifel bin ich gespannt, wann es den ersten größeren Hack von Mastodon gibt. Spätestens, wenn dann personenbezogene Daten in Umlauf kommen, vermeintlich private Direktnachrichten, und so weiter, wenn also die DSGVO ins Spiel kommt, dann kann das für die einzelne Betreiberin oder den einzelnen Betreiber schnell teuer werden, und da ist dann vermutlich die wahrscheinlichste Option, dass eine Instanz dann offline geht, weil man sich diesen Ärger nur einmal einhandeln möchte. Ich glaube beziehungsweise ich befürchte, dass es zu viele Instanzen gibt, wo sich über derartiges gar keine Gedanken gemacht wird, und das funktioniert dann unter Umständen nur für eine gewisse Zeit, bis zum erstem großen Knall.

Solange es dafür kein Konzept gibt, wie die Plattform beziehungsweise wie die einzelnen Instanzen damit umgehen, habe ich meine Zweifel, ob Mastodon wirklich eine derartige Relevanz wie Twitter entwickeln kann.

Bis hierhin wirkt das auf mich ziemlich ernüchternd. Wie könnte denn ein funktionierendes Fediverse und Mastodon ausschauen?

Golo: Die Antwort auf diese Frage ist einfach, aber nicht schön: Mastodon, genau wie Open Source und das ganze Internet an sich, krankt an einem ganz eklatanten Punkt, den ich eben schon einmal kurz angerissen hatte: Es muss für die breite Masse immer alles kostenlos sein. Das sieht man sehr schön bei Open Source, denn das überzeugendste Argument für Open Source ist in der Regel, dass es nichts kostet. Da geht es nicht um Werte, da geht es nicht um Ideale, da geht es einfach nur darum, dass man kein Geld ausgeben muss.

Bei Mastodon sind die ersten Anwenderinnen und Anwender anscheinend im größeren Stil bereit, dafür ein paar Euro im Monat zu zahlen, aber das skaliert meiner Meinung nach nicht. Die meisten Menschen nehmen, wenn sie es kostenlos bekommen können, die kostenlose Variante, und nehmen dann dafür Werbung oder – viel schlimmer – die "zweckentfremdete Nutzung" ihrer Daten in Kauf, gemäß dem Motto, wenn ein Produkt nichts kostet, ist man selbst das Produkt.

Wäre ein Bezahlmodell die Lösung?

Golo: Ich hatte eben schon einmal angesprochen, dass die Betreiberinnen und Betreiber einer Mastodon-Instanz sich das auch leisten können müssen, dass es mindestens Zeit kostet. Tatsächlich kostet es aber auch jede Menge Geld, wenn man es richtig machen möchte. Immerhin fallen Server, Strom, Backup & Co. nicht vom Himmel, sondern wollen bezahlt werden. Und solange eine allgemeine "Geiz ist geil"-Mentalität vorherrscht, funktioniert das nicht im großen Stil, denn dann tragen einige wenige die Kosten für ein größeres System. Das ist zutiefst unfair, das führt zu Burnout, das führt dazu, dass Menschen irgendwann keine Kraft mehr haben, sich zu engagieren. Solche Fälle gab und gibt es in der Open-Source-Szene immer wieder, und das wird an dieser Stelle nicht anders laufen. Es ist en vogue, für Software nichts bezahlen zu müssen – aber es schadet der gesamten Branche.

Und solange wir als IT-Branche ein Geschäftsmodell vertreten und gutheißen, das unsere Zeit und Mühe nicht wertschätzt, die wir in die Konzeption, die Entwicklung und den Betrieb von Software stecken, wird das nicht nachhaltig und im großen Stil funktionieren. Wir brauchen einen Sinneswandel dahin, dass Software wieder Geld kosten darf und eventuell sogar muss. Das müssen keine überzogenen Preise sein, aber alles auf Dauer ständig kostenlos, das kann es halt auch nicht sein.

Das ist im Open-Source-Kosmos aber ein fundamentales Thema, oder?

Golo: Ja, das stimmt. Aber das ist (wieder einmal) kein technisches, sondern ein kulturelles Problem. Und deshalb gibt es dafür auch keine einfache Lösung, da kann im Prinzip nur jede und jeder Einzelne versuchen, für sich im direkten Umfeld einen Unterschied zu machen, und darauf zu hoffen, dass wenn man das immer wieder erklärt, dass es falsch ist, sich ohne Gegenleistung überall gratis zu bedienen, dass das dann irgendwann vielleicht einmal fruchtet. Auch wenn das zugegebenermaßen furchtbar pathetisch klingt, aber es ist moralisch falsch, immer nur zu nehmen, nichts zu geben, und die Zeit anderer nicht wertzuschätzen.

So bemerkenswert und wichtig der Einfluss von Open Source in den vergangenen Jahrzehnten war, so groß ist inzwischen auch der Schaden, der durch die kostenlose Zugänglichkeit geschaffen wurde. Und daher geht es bei Open Source eigentlich um etwas ganz anderes – Open Source bedeutet nicht automatisch auch, dass Software kostenlos sein muss, aber leider wird das häufig synonym verwendet. Das ist aus meiner Sicht eines der ganz großen Probleme nicht nur der IT, sondern vor allem der Gesellschaft, weil es dabei darum geht, die Kosten des Individuums zu minimieren, was aber unterm Strich zulasten der gesamten Gesellschaft geht.

Heise hat jetzt eine eigene Instanz. Was rätst du anderen: Bestehende Instanz nutzen, Hoster suchen für eigene Instanz oder von der Pike auf selbst die Infrastruktur betreiben?

Golo: Eine bestehende Instanz zu nutzen ist, finde ich, die für das Gesamtsystem am wenigsten attraktive Option. Eigentlich braucht es viel mehr kleine Instanzen, und nicht einige wenige große. Der Punkt ist aber, dass die meisten Menschen dazu gar nicht in der Lage sind. Wie soll jemand außerhalb der IT-Branche auch nur ansatzweise eine eigene Mastodon-Instanz betreiben? Das geht schlichtweg nicht. Insofern wird die Masse der Accounts tatsächlich derart sein, dass sie auf einer bestehenden Instanz mitlaufen.

Wer aber in der Lage ist, das selbst zu machen, steht vor der Frage, ob man die Infrastruktur selbst aufbaut oder einkauft. Es gibt eine Handvoll Mastodon-as-a-Service-Anbieter, allerdings nehmen viele davon derzeit (unter anderem aus Kapazitätsgründen) keine neuen Kundinnen und Kunden an, sodass man schon Glück haben muss, damit das klappt. Außerdem gilt es hier sehr genau hinzugucken, wo das Hosting zum Beispiel erfolgt, wie es mit der DSGVO-Einhaltung ausschaut, ob verschlüsselt wird, wie und wann gebackupt wird, welche Garantien es gibt, und so weiter.

Also hat es offenbar Vorteile, eine eigene Instanz zu betreiben – sofern man technisch dazu in der Lage ist?

Golo: Zumindest hat man mit einer eigenen Instanz mehr Kontrolle. Das ist der Vorteil daran. Der Nachteil ist, dass es zeitaufwändig und mühsam ist, eine eigene Instanz zu betreiben, zumindest wenn man den Anspruch hat, dass es wie vorhin erwähnt skalierbar, ausfallsicher und verschlüsselt ist. Da ist einfach die Frage, ob man diesen Aufwand auf sich nehmen möchte. Das lässt sich nicht pauschal beantworten, das muss am Ende des Tages jede und jeder selbst entscheiden.

Tatsächlich gibt es aber auch noch eine vierte Option: Man kann die ganze Situation nämlich auch einmal zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, ob man das Ganze wirklich braucht. Ist der Nutzen der sozialen Medien so hoch, dass er den Preis rechtfertigt? Das ist eine Frage, die ich mir stelle, seit ich meinen persönlichen Twitter-Account stillgelegt habe, aber so verkehrt fühlt es sich zumindest für mich nicht an, nicht mehr auf Twitter, Mastodon & Co. vertreten zu sein. Vielleicht hatte ein solcher Dienst auch einfach seine Zeit, und vielleicht überschätzen wir die Relevanz von sozialen Medien, und vielleicht wäre es gut, davon mehr Abstand zu nehmen.

heise Developer: Golo Roden, wir danken für das Gespräch!

Das Interview führte Silke Hahn, Redakteurin bei iX und heise Developer (sih@ix.de).

(sih)