Automatische Gesichtserkennung: Bundesdatenschutzbeauftragte fordert Stopp des Berliner Pilotprojekts

Die Bundespolizei sollte den Test zur biometrischen Gesichtserkennung per Videoüberwachung am Berliner Bahnhof Südkreuz aussetzen, verlangt Datenschützerin Andrea Voßhoff. Innenminister de Maizière verteidigt die Initiative.

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Automatische Gesichtserkennung: Bundesdatenschutzbeauftragte fordert Stopp des Berliner Pilotprojekts

(Bild: dpa)

Von
  • Stefan Krempl
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Nach der Berliner Datenschutzbeauftragten Maja Smoltczyk hat sich jetzt auch die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff in den Streit über das Anfang August gestartete Pilotprojekt zur automatischen biometrischen Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz der Hauptstadt eingeschaltet. Voßhoff monierte in einer Stellungnahme, dass der Testlauf derzeit ohne Rechtsgrundlage stattfinde und daher auszusetzen sei. Die Bundespolizei müsse zunächst von den rund 300 freiwilligen Teilnehmern eine erneute datenschutzrechtliche Einwilligung einholen.

Die Datenschutzorganisation Digitalcourage hatte zuvor aufgedeckt, dass es sich bei dem Transponder, den die Probanden mit sich tragen sollen, entgegen der offiziellen Ankündigung nicht um eine Art passiven RFID-Chip in der Größe einer Kreditkarte handelt, sondern um einen aktiven Bluetooth-Sender in Form eines iBeacon. Mit der Technik soll durch ein Referenzsystem überprüft werden, ob die Gesichtserkennung durch die Überwachungskameras funktioniert: Wenn der dafür eingesetzte Algorithmus versagt, kann die Person über den Transponder doch noch identifiziert werden.

Ein iBeacon hat bis zu 20 Meter Reichweite, damit lassen sich Daten wie Temperatur, Neigung und Beschleunigung messen, speichern und weitergeben und theoretisch aussagekräftige Profile auch außerhalb des Bahnhofs erstellen. Die Informationen können mit einer App über ein Smartphone ausgelesen werden. Die Aktivisten von Digitalcourage warfen der Bundespolizei daher vor, die menschlichen Versuchskaninchen falsch über die eingesetzte Technik informiert zu haben. Sie bemängelten ferner, dass die installierten Kameras auch völlig unbeteiligte Passanten und die Lesegeräte andere Bluetooth-Geräte erfassten.

Die Bundespolizei hat inzwischen eingeräumt, dass sie Bluetooth-Transponder mit iBeacon-Funktion ausgegeben hat. Ein Sprecher erklärte aber, die Empfangsgeräte am Bahnhof seien so konfiguriert, dass sie erweiterte Daten nicht aufnähmen und etwa die Temperatur nicht gemessen werde. Die Beschleunigungssensoren seien deaktiviert worden. Bei Digitalcourage hieß es dagegen weiter, dass sensible Messwerte einfach ausgelesen werden könnten.

Über die erweiterte Sendefunktionen seien die Teilnehmer so oder so im Vorfeld der Abgabe ihres Einverständnisses nicht informiert worden, beklagt die Bundesdatenschutzbeauftragte. "Gerade bei Verfahren, die mangels anderweitiger Rechtsgrundlagen auf Einwilligungen zurückgreifen, ist es essenziell, dass den Betroffenen sämtliche Informationen zur Verfügung gestellt werden, die sie benötigen um eine wohlüberlegte Entscheidung zu treffen", unterstrich Voßhoff. Selbst wenn die von dem Transponder ausgesendeten Informationen datenschutzrechtlich nicht besonders sensibel wären, handle es bei dem Aufklärungsversäumnis der Sicherheitsbehörde um keine Lappalie.

Laut der CDU-Rechtspolitikerin könne es für einen Beteiligten durchaus relevant sein zu wissen, "dass er mit einem dauerhaft sendenden Chip durch die Stadt läuft". Zudem müssten die datenschutzrechtlichen Vorgaben konsequent eingehalten werden, um das Instrument der Einwilligung nicht zu verwässern. Voßhoff hatte den Test zuvor vor allem mit dem Verweis auf das freiwillige Opt-in der Probanden prinzipiell für datenschutzkonform befunden. Einen "flächendeckenden Einsatz einer automatisierten Gesichtserkennung" lehne sie ohne hinreichende Rechtsgrundlage aber ab. Ihre Berliner Kollegin Smoltczyk warnte vor einer "Technik ohne Zukunft", mit der Grundfreiheiten zerstört würden.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat die neuen Bedenken zurückgewiesen. Sie beruhten auf fehlerhaften Informationen, meinte der CDU-Politiker am Donnerstag bei einem Vor-Ort-Besuch am Südkreuz, wo er sich von der Bundespolizei unter Protesten von Kritikern über die Technik für den auf sechs Monate angelegten Probelauf informieren ließ. Vorab hatte de Maizière im ARD-Morgenmagazin erklärt, dass Videoüberwachung mit Gesichtserkennung einen "unglaublichen Sicherheitsgewinn" darstelle, falls der Test erfolgreich sei. Sollte die Funktionsfähigkeit erbracht werden, könne darüber entschieden werden, ob und unter welchen Bedingungen derlei Techniken eingeführt werden sollten.

Bei der Gesichtserkennung werden dem Minister zufolge wie bei Kfz-Kennzeichen-Scanning nur Daten von denjenigen aufbewahrt, die verdächtig sind. Er könne daher nicht erkennen, "wieso zusätzliche Grundrechte derer, die zwar abgeglichen aber nicht gespeichert werden, verletzt werden". Es gehe um eine erleichterte Fahndung nach Schwerverbrechern. Die Gegner, die jetzt ihre Stimmen erhöben, "sind sowieso gegen Videoüberwachungen generell". Auch er wolle aber nicht angesichts der Terrorgefahr "unser freiheitliches Leben absagen".

Die SPD-Innenpolitikerin Eva Högl schloss nicht aus, dass der Versuch abgebrochen werde müsse, wenn es dabei Ungereimtheiten gebe. Sollte der Test nicht aussagekräftig sein, könnten daran keine weiteren Entscheidungen geknüpft werden, konstatierte die Bundestagsabgeordnete im rbb. Sie sei in Sorge, ob es am Südkreuz "das richtige Vorgehen war".

Es müsse klar sein, welche Daten erhoben und wie sie ausgewertet würden. Die grüne Bundestagsfraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warf de Maizière vor, rechtsstaatliche Prinzipien für eine "Wahlkampf-Show" zu opfern. Es habe sich gezeigt, dass mit den Daten mehr gemacht werden könne, als den Bürgern klar gewesen sei. (jk)