Bundestag beschließt Gesetz zum autonomen Fahren unter Aufsicht
Es sei an der Zeit, den Regelbetrieb für Robo-Autos einzuleiten, findet der Bundestag. Zunächst sollen sie in fixen Betriebsbereichen unterwegs sein können.
(Bild: Shutterstock/metamorworks)
- Stefan Krempl
Mit den Stimmen der Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD sowie der FDP hat der Bundestag in der Nacht zum Freitag den Entwurf für ein Gesetz zum autonomen Fahren verabschiedet. Deutschland soll laut der Initiative "eine Führungsrolle" in diesem Bereich einnehmen. Vollautomatisiertes Fahren der Stufe 4, bei dem das System für definierte Anwendungen komplett die Kontrolle übernimmt und vom Fahrer nicht mehr überwacht werden muss, soll damit zunächst in festgelegten Betriebsbereichen bundesweit im öffentlichen Straßenverkehr im Regelbetrieb erfolgen können.
Die AfD und die Linke waren gegen das Vorhaben, die Grünen enthielten sich. Zu den umrissenen Einsatzszenarien zählen Shuttle-Verkehre, wo bereits seit Längerem Tests mit autonomen Fahrzeugen laufen. Dazu kommen andere automatisch fahrende Verkehrsmittel für kurze Strecken, wie sie hauptsächlich auf Flughäfen und Messen verwendet werden ("People Mover").
Auch für das Überbrücken von Strecken zwischen Verteilzentren, das automatische Einparken sowie für die Beförderung von Personen beziehungsweise Gütern auf der ersten oder letzten Meile sollen Robo-Autos verwendet werden können. "Nachfrageorientierte Angebote in Randzeiten" will der Bundestag damit bedienbar machen. Ein Fahrer muss auch bei Stufe 4 noch an Bord sein und in bestimmten Situationen eingreifen können.
Technische Aufsicht für Notfälle
Mit dem Gesetz verknüpft sind technische Anforderungen an den Bau, die Beschaffenheit und die Ausrüstung von Kfz mit autonomen Fahrfunktionen sowie Verfahren für die Erteilung einer Betriebserlaubnis. Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) hatte hier kritisiert, dass es mit der nötigen Technischen Aufsicht (TA) für jedes autonome Kfz "einen zuständigen Ingenieur" bräuchte, "der darauf wartet, unverzüglich auf Notsignale zu reagieren".
Es sei davon auszugehen, dass die Technologie "anfangs noch nicht alle Sachverhalte in vollem Umfang durch intelligentes Erfassen der Situation und kooperatives Verhalten mit anderen Verkehrsteilnehmenden zu lösen vermag", räumen die Abgeordneten ein. Das smarte Auto soll daher "ein oder mehrere alternative Fahrmanöver vorschlagen", die durch die TA "der Situation entsprechend zu bewerten und gegebenenfalls freizugeben sind".
Als "denkbare Fälle" für ein Steuern des Fahrzeugs durch die Betriebsaufsicht führt das Parlament etwa "das Überfahren einer roten Ampel bei Dauer-Rot aufgrund einer Ampelstörung" an oder "die Weiterfahrt zur nächstgelegenen Haltebucht bei niedriger Geschwindigkeit zur Erreichung eines anderen risikominimalen Zustands, um Passagiere aussteigen zu lassen". Selbst bewältigen müsse das Kfz dagegen "kurzfristig auftretende und aufzulösende Störungen bei der dynamischen Fahrzeugsteuerung".
Die von der Großen Koalition eingebrachten Korrekturen am ursprünglichen Regierungsentwurf sehen hier vor, dass das Gefährt auch durch Insassen deaktiviert werden kann. Darunter sei ein "Not-Aus" zu verstehen. Dies steigere "das subjektive Sicherheitsempfinden der Passagiere".
Neue autonome Fahrfunktionen per Update
Im Gesetz enthalten sind auch Vorgaben für die Datenverarbeitung. Ferner soll es möglich sein, "schlafende" automatisierte und autonome Fahrfunktionen bereits typgenehmigter Kfz nachträglich freizuschalten. Vorschriften für Probeläufe entsprechender Fahrzeuge werden angepasst und harmonisiert.
Der Bundestag hat noch mehrere Vorschläge des Bundesrats aufgegriffen, während Schwarz-Rot die Empfehlungen von Sachverständigen weitgehend ignorierte. Um etwa Rechtssicherheit für bereits laufende Forschungsprojekte mit fahrerlosen Fahrzeugen zu gewährleisten, wird die sachliche Zuständigkeit für alle noch ausstehenden Betriebserlaubnisse und Erprobungsgenehmigungen ausnahmsweise nicht auf das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) übergehen.
Fahrdaten zur Unfallnachverfolgung
Die Abgeordneten haben ferner einen Auskunftsanspruch für Unfallgeschädigte zu den beim Betrieb gespeicherten Daten gegenüber dem Halter eingeführt. Ein solcher sei "zweckmäßig und lösungsorientiert", etwaigen Rechtsansprüchen Dritter Rechnung zu tragen. So lasse sich etwa klären, ob zum Zeitpunkt eines Unfallereignisses alternative Fahrmanöver freigegeben gewesen seien. Würden die Informationen nicht mehr benötigt oder verjährten damit ermöglichte Ansprüche, müssten sie unverzüglich gelöscht werden.
Klargestellt hat das Parlament, dass die Software, mit der der Halter Einstellungen zur Privatsphäre und zur Verarbeitung der Daten in der autonomen Fahrfunktion vornehmen kann, auch tatsächlich Wahlmöglichkeiten anbieten muss. Die Pflicht zu "Privacy by design and by default" aus der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) besteht daneben unmittelbar.
Ausnahmen für Behördenfahrzeuge
Erweiterte Ausnahmeregeln gelten laut dem Beschluss für Behörden wie das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter, das Zollkriminalamt, das Bundesamts und die Landesämter für Verfassungsschutz, den Bundesnachrichtendienst und die Straßenbauverwaltungen. Für sie ist nicht das KBA zuständig, sie dürfen zum Erfüllen hoheitlicher Aufgaben beim Einsatz von Robo-Autos von technischen Vorgaben und anderen Kernauflagen des Gesetzes abweichen.
Diese Ämter und Organisationen müssen zudem keine konkreten Daten zum Betrieb des autonomen Kfz an Forschungsstätten für Verkehrs-bezogene Gemeinwohlzwecke weitergeben. Dadurch wäre die Sicherheit der Bürger sowie der jeweiligen Institutionen selbst gefährdet worden, begründet die Koalition diese Änderung. Auch für Fahrzeuge etwa der Bundes- und Landespolizei, anderer Blauchlichtbehörden und der Bundeswehr gelten weniger strenge Regeln.
Die Grünen monierten in einem Entschließungsantrag, der Entwurf nutze das Potenzial des autonomen Fahrens vor allem für mehr Klimaschutz und Verkehrssicherheit nicht voll aus und riskiere "die Etablierung unzureichender Haftungs-, Datenschutz- und Sicherheitsstandards". Für private Halter passten die Regeln nicht. Die FDP plädierte mit ihrem Antrag an die Regierung, Rahmenbedingungen etwa für die TA über Verordnungen sicher und praxistauglich auszugestalten. Ziel müsse es sein, autonomes Fahren synonym mit "Made in Germany" werden zu lassen. Bei CDU/CSU hieß es, beim Thema Haftung werde es am Ende immer auf den Abschluss von Versicherungen hinauslaufen.
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Eine Bilanz des gegenwärtigen Status beim autonomen Fahren beziehungsweise beim fahrerlosen Personentransport zeichnet ein uneinheitliches Bild: Große Fortschritte, aggressive Startup- und Staats-Initiativen sowie regulatorische Versäumnisse. Autonomes Fahren, die Auswirkungen auf den Personentransport mit Robotaxis, people movern, autonomen Bussen und die notwendigen Techniken und Regularien beschäftigen uns in einer zehnteiligen Serie.
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(olb)