EU-Kommission verhängt neues Millionenbußgeld gegen Microsoft
Die EU-Kommission wirft Microsoft seit langem vor, nicht wie gefordert Konkurrenten komplette und genaue Informationen zur Server-Kommunikation zugänglich gemacht zu haben. Nun riß den EU-Wettbewerbshütern der Geduldsfaden.
- Jürgen Kuri
Die EU-Kommission hat gegen den Softwaregiganten Microsoft eine neue Strafe von Höhe von 280,5 Millionen Euro verhängt. Die neue Strafe entspricht einem Satz von 1,5 Millionen Euro pro Werktag seit dem 16. Dezember 2005. Damit soll Microsoft gezwungen werden, Informationen über Kommunikationsprotokolle von Windows und die Protokollschnittstellen für die Kommunikation zwischen Arbeitsplatzrechnern und Windows-Servern bereitzustellen. Geschieht dies nicht, droht ab 31. Juli zusätzlich ein Bußgeld von drei Millionen Euro pro Tag, teilte die Kommission am heutigen Mittwoch in Brüssel mit.
EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes erklärte, die Kommission sei verpflichtet, die Einhaltung der EU-Vorschriften zu gewährleisten. Sie habe stets ihre Entschlossenheit betont, im Falle von Microsoft die Erfüllung der Auflagen aus der Entscheidung der Kommission vom März 2004 durchzusetzen: "Ich bedaure, dass Microsoft sein rechtswidriges Verhalten auch zwei Jahre nach dieser Entscheidung weiter fortsetzt." Kein Unternehmen stehe über dem Gesetz, fügte Kroes hinzu. "Ich hoffe sehr, dass die neuesten, von Microsoft vorgelegten technischen Unterlagen endlich den Auflagen entsprechen und keine weiteren Zwangsgelder erforderlich sind."
Den Wettbewerbshütern der EU-Kommission war nach langem Hin und Her mit Microsoft im vergangenen Dezember der Kragen geplatzt: Nachdem es um die Einhaltung der Auflagen, besonders die Dokumentation der Protokollschnittstellen, lange eine heftige Auseinandersetzung gegeben hatte, drohte die EU-Wettbewerbskommissarin eine tägliche Geldstrafe wegen Nichteinhaltung der Auflagen an. Sie monierte, dass Microsoft nicht – wie in der Entscheidung im Wettbewerbsverfahren vor gut zwei Jahren verlangt – Windows für mehr Wettbewerb öffnet. Damals hatte die Kommission entschieden, der US-Softwarekonzern habe sein Quasi-Monopol bei PC- Betriebssystemen zum Schaden von Konkurrenten und Verbrauchern missbraucht.
Die EU-Kommission warf Microsoft Ende vergangenen Jahres vor, nicht wie gefordert Konkurrenten komplette und genaue Informationen zur Server-Kommunikation zugänglich gemacht zu haben – dies führte nun angesichts der Unfähigkeit oder Unwilligkeit von Microsoft, die Forderung nach einer vollständigen und von Konkurrenten nutzbaren Dokumentation der Protokolle und Server-Schnittstellen zu erfüllen, zur zusätzlichen Verhängung einer Geldstrafe.
Microsoft hatte dagegen argumentiert, man habe bereits den Auflagen der Kommission Folge geleistet und mehrmals die Dokumentation nachgebessert – bis hin zum Angebot, an Konkurrenten den Sourcecode von Windows Server zu lizenzieren. Microsoft-Manager bezeichneten dies als bestmögliche Dokumentation der Server-Schnittstellen, was aber weder bei den EU-Wettbewerbshütern noch bei Neil Barrett, dem technischen Berater der Kommission im Wettbewerbsverfahren gegen Microsoft, auf große Gegenliebe stieß. Vor wenigen Tagen hieß es nun, das Unternehmen wolle in Kürze noch einmal neues Material vorlegen, das nach Verhandlungen mit Barrett erstellt worden sei. Eine Geldstrafe wegen der bisherigen Versäumnisse bis zur Vorlage einer von der EU-Kommission als ausreichend bewerteten Dokumentation konnte dies aber nicht mehr verhindern.
Microsoft hat gegen das Bußgeld und die gegen den Konzern verhängten Produktauflagen vor dem Europäischen Gerichtshof Erster Instanz geklagt. In diesem Hauptsacheverfahren hatte Microsoft bei einer Anhörung Ende März in Luxemburg erklärt, es gebe genügend Wettbewerb im Software-Markt. Außerdem seien bestimmte Forderungen der EU – beispielsweise nach Windows ohne den eingebauten Mediaplayer – sinnlos, weil sie an den Bedürfnissen des Marktes vorbeigingen. Eine Entscheidung in diesem Hauptsacheverfahren wird aller Voraussicht nach erst in einigen Monaten fallen. Das Gericht hatte zuvor bereits die Aussetzung der Auflagen bis zur Entscheidung abgelehnt.
Zum EU-Kartellverfahren gegen Microsoft siehe auch:
- EU-Kommissarin Kroes kündigt neue Geldbuße für Microsoft an
- EU-Kartellwächter befürworten tägliche Microsoft-Strafe
- Tägliche Geldstrafe für Microsoft rückt näher
- Microsoft fordert vor EU-Gericht Strafminderung
- Microsofts Geheimhaltung vor EU-Gericht in der Kritik
- Microsoft beschwert sich vor EU-Gericht über Begünstigung der Konkurrenz
- Microsofts Mediaplayer-Strategie vor EU-Gericht unter Beschuss
- Luxemburger Microsoft-Prozess beginnt mit hartem Schlagabtausch
- Microsoft sieht wachsende Konkurrenz für Mediaplayer
- Linux-Gemeinde: EU-Patentkurs untergräbt Kartellverfahren gegen Microsoft
- EU-Kartellverfahren: Microsoft kommt in den USA nicht zum Zug
- EU-Kartellverfahren: Microsoft unterliegt erneut vor US-Gericht
- Microsoft erwartet Durchbruch im EU-Kartellstreit
- US-Regierung fordert von EU "faire Behandlung" für Microsoft
- Neues EU-Bußgeld für Microsoft wird wahrscheinlicher
- Microsofts Vista im Visier der europäischen Wettbewerbshüter
- Microsoft macht neue Konzessionen im EU-Kartellverfahren
- EU-Kommission antwortet auf Microsoft-Anschuldigungen
- Microsoft zweifelt Neutralität der EU-Wettbewerbshüter an
- Microsoft legt Dokumente im EU-Kartellstreit offen
- Microsoft antwortet im EU-Kartellverfahren kurz vor Ablauf des Ultimatums
- Microsoft wirft EU-Kommission im Kartellverfahren Regelverletzungen vor
- Microsoft droht weiterer Ärger von der EU-Kommission
- Microsoft kommt EU entgegen und lizenziert Quellcode für Windows Server
- EU-Kommission droht Microsoft tägliche Millionen-Strafe an
- Ballmer in Brüssel: Interoperables Frühstück
- EU-Kommission benennt "Microsoft-Berater"
- XP N + MediaPack = XP - N
- EU-Kartellverfahren: Keine Microsoft-Technik unter Open-Source-Lizenzen
- EU-Kommission testet Microsoft-Zugeständnisse
- Microsoft legt Vorschläge zu Wettbewerbsauflagen in Brüssel vor
- EU-Kommission verliert Geduld mit Microsoft
- Microsoft bei den EU-Wettbewerbshütern weiter auf dem Prüfstand
- EU-Kommission: Microsoft setzt Server-Auflagen nicht ausreichend um
- Microsoft verzichtet auf Berufung gegen EU-Urteil
- Microsoft will Auflagen der EU-Kommission erfüllen
- EU-Gerichtspräsident bestätigt Sanktionen gegen Microsoft
- Schlagabtausch von Microsoft und EU-Kommission vor EU-Gericht
- Microsoft bezahlt Brüsseler Rekordbußgeld
- Microsoft beantragt Aussetzung von EU-Auflagen
- Sun und RealNetworks begrüßen EU-Entscheidung im Microsoft-Verfahren
- Microsoft: Entscheidung der EU-Kommission nicht im Sinne der Verbraucher
- EU-Kommission verfügt Geldstrafe und Produktauflagen gegen Microsoft
- Bei Microsoft kennt Mario Monti kein Pardon
- Microsoft: EU verhängt 497 Millionen Euro Strafe
- Mitteilung der EU-Kommission zum Abschluss der Untersuchung gegen Microsoft
- EU eröffnet neues Kartell-Verfahren gegen Microsoft
- EU eröffnet erstmals Wettbewerbsverfahren gegen Microsoft