Misstrauen gegen Wahlgeräte: Wahleinspruch in Cottbus
Die Ernennung des Cottbuser Oberbürgermeisters muss wegen eines Wahleinspruchs verschoben werden. Der Chaos Computer Club beklagt derweil technische Schwierigkeiten bei der Abwicklung der Online-Petition zur Abschaffung von Wahlcomputern.
- Torsten Kleinz
Die Ernennung von Frank Szymanski (SPD) zum Cottbuser Oberbürgermeister muss verschoben werden. Grund ist der Einspruch eines Cottbusser Bürgers gegen den Einsatz von Wahlcomputern. Der Chaos Computer Club (CCC) beklagt inzwischen technische Schwierigkeiten bei der Abwicklung der Online-Petition zur Abschaffung von Wahlcomputern.
Ein Cottbuser Wahlberechtigter hat Einspruch gegen die Oberbürgermeister-Wahl am 22. Oktober eingelegt. "Durch die Verwendung von Wahlautomaten sind, insbesondere nach Bekanntwerden einer erfolgreichen Manipulation der Software weitgehend baugleicher Geräte in den Niederlanden und aufgrund von selbst beobachteten und berichteten Verfahrensfehlern, grundlegende Prinzipien einer fairen demokratischen Wahl nicht gewährleistet worden. Damit ist eine Verfälschung der Wahlergebnisse fahrlässig in Kauf genommen worden", schreibt der Diplom-Ingenieur Thomas Langen in der Begründung seines Einspruchs. Langen beruft sich unter anderem auf die Veröffentlichung der niederländischen Gruppe "Wij vertrouwen stemcomputers niet", die im Oktober in einem aufsehenerregenden Bericht auf Sicherheitslücken bei den Wahlgeräten der Firma Nedap hingewiesen hatte. Der CCC hatte einige Beobachter zu der Wahl in Cottbus geschickt, bei der Geräte des gleichen Herstellers eingesetzt wurden, und eine verheerende Bilanz der Sicherheitsvorkehrungen in den Wahllokalen veröffentlicht.
Langen bemängelt in seinem Einspruch die Gefährdung des Wahlgeheimnisses sowie die Abschaffung der Öffentlichkeit und der Transparenz der Stimmenauszählung: "Ohne Not ist der transparente und ohne besondere Hilfsmittel leicht zu kontrollierende Vorgang einer Wahl mit Wahlzettel und -urne durch die Nutzung eines komplexen computergestützten und selbst von Experten nicht überprüfbares System ersetzt worden." Im Ergebnis könnte weder menschliches Versagen noch eine gezielte Wahlmanipulation eines Innentäters ausgeschlossen werden.
Bevor die Stadtverordnetenversammlung nun den neuen Oberbürgermeister wählt, muss der Wahleinspruch in einer öffentlichen Sitzung geprüft werden. Auf Anfrage von heise online bestätigte die Kreiswahlleiterin den Vorgang, wollte sich aber nicht zu den Vorwürfen Langens oder des CCC äußern. Sie werde bis zur Sitzung ein Gutachten erstellen. Wann konkret über den Einspruch entschieden wird, steht noch nicht fest. Die Ernennung des Oberbürgermeisters wurde vorläufig um acht Tage auf den 28. November verschoben.
Der CCC beklagt unterdessen technische Probleme bei der Online-Petition gegen Wahlmaschinen, die Anfang Oktober von einem Berliner beim zuständigen Bundestagsausschuss eingereicht worden war. Nachdem über 25.000 Unterschriften zusammengekommen sind, gab es auf der Webseite Darstellungsprobleme, die Datenbank wurde offenbar überlastet. Inzwischen wurde eine Ersatzpetition eingerichtet, bei der Interessierte noch bis zum 28. November für eine Abschaffung der gesetzlichen Grundlage zur Verwendung von Wahlcomputern votieren können.
CCC-Sprecher Andy-Müller-Maguhn bemängelt aber die technische Umsetzung dieser Behelfslösung: Die neue Petition sei nicht hinreichend verlinkt, der Titel "Ersatzpetition" führe die Bürger in die Irre. "Insgesamt erscheint diese technische Panne dringend aufklärungsbedürftig, damit hier nicht der Eindruck aufkommt, die Petition solle durch die Simulation technischer Probleme sabotiert werden", geht Maguhn gleich in die Vollen. Diesen Bedenken tritt der Petitionsausschuss entgegen: "Zwar sind nicht alle Stimmen sichtbar, die Daten kommen aber bei uns an", erklärt die zuständige Abteilung des Bundestags auf Nachfrage von heise online. "Es sind keine Stimmen verloren gegangen."
Der Petitionsausschuss hatte mit der Universität von Edinburgh im vergangenen Jahr ein Pilotprojekt gestartet, um es den Bürgern einfacher zu machen, Eingaben an den Petitionsausschuss zu richten und über aktuelle Fragen mitzudiskutieren. Der Pilotversuch wird wahrscheinlich noch im nächsten Jahr fortgesetzt, bis der Bundestag ein eigenes System aufgebaut hat.
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(Torsten Kleinz) / (jk)