Kommentar: Vollstart an die Decke - von Sprunginnovationen und Verschwendung von Forschungsgeldern
Mit einer Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen will die Bundesregierung technischen Fortschritt fördern. Sie hat dabei aber etwas Wichtiges übersehen.
(Bild: Shutterstock)
- Wolfgang Stieler
So begrüßenswert die Idee einer Agentur für Sprunginnovationen auch ist, sie hat drei schwere Geburtsfehler: Der erste ist das Geld. Während die US-Innovationsagentur Darpa, die offenbar Vorbild für die deutsche Agentur ist, über einen Jahreshaushalt von 2,5 Milliarden Dollar verfügt, sollen es in Deutschland so um die 100 Millionen Euro werden. Rechnet man den Darpa-Haushalt auf die Wirtschaftskraft Deutschlands herunter, müssten es aber eher 600 Millionen Euro sein.
Erst das Geld, dann die Idee
Das zweite Problem ist der „personenzentrierte Ansatz“ der Agentur. Die Idee ist, „hochkompetente und kreative Innovationsmanagerinnen und -manager“ zeitlich befristet in der Agentur zu beschäftigen und ihnen dort „besondere Handlungsfreiräume“ zu geben. Weil die seit Jahrzehnten praktizierten Prozesse der deutschen Wissenschafts- und Technikförderung mit all ihren Ausschreibungen, Kooperationsprojekten und Kompetenznetzen eher technische Evolution als Revolution erzeugen, sollen die Innovationsmanager jetzt ganz anders vorgehen. Erst das Geld, dann die Idee. Dahinter steckt immerhin die Erkenntnis, dass politische Prozesse und Förderkorsetts gute Einfälle rasch kaputt machen können. Ob es aber besser funktioniert, einzelne Personen damit zu beauftragen, mal Disruption zu machen?
Der gravierendste aber ist der dritte Geburtsfehler: eine falsche Annahme, woher revolutionäre Ideen stammen. Die Einführung der Agentur geht von dem oft gehörten Narrativ aus, es gebe in Deutschland genügend exzellente Forschung – und nur bei der Umsetzung in marktfähige Produkte hapere es. „Zahlreiche Erfindungen, die völliges Neuland eröffnen und ganze Märkte umkrempeln können, sind in Deutschland entstanden, scheitern jedoch häufig noch in der Anwendung“, erklärte beispielsweise Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bei Vorstellung der Pläne.
Gigantische Verschwendung von Zeit, Geld, Ideen
Diese landläufig auch unter dem Stichwort „MP3-Trauma“ bekannte These ist aber nur die halbe Wahrheit. Kann ja sein, dass Deutschland im weltweiten Forschungswettbewerb noch eine vergleichsweise gute Figur macht. Ihr Potenzial reizt insbesondere die universitäre Grundlagenforschung in Deutschland aber bei Weitem nicht aus. Denn sie ist zu kurzatmig geworden. Das System ist inzwischen viel zu sehr auf kurzfristige Projekte angelegt.
Denn schon lange wird ein Großteil der Forschung nicht mehr von unbefristet angestellten Wissenschaftlern getragen, seien es nun Professoren oder der akademische Mittelbau. Schon lange fehlt damit das Personal, um langfristig angelegte Vorhaben zu verfolgen, sei es nun die Entwicklung autonomer Roboter oder Anwendungen von Metamaterialien als neue Werkstoffe. Stattdessen dominieren Doktoranden und Postdocs, prekär bezahlt, befristet angestellt, oft sogar nur mit Teilzeitstellen. Kein Personalchef eines deutschen Unternehmens würde seine Forschungs- und Entwicklungsabteilung so betreiben wie Deutschland seine Universitäten und Forschungseinrichtungen.
Denn die Folgen sind immens: Immer wieder begegne ich Forschern, die darüber klagen, dass bei jedem Projekt „das Rad neu erfunden wird“. Interessante Verbundprojekte laufen aus, weil ihre Finanzierung endet. Weil anschließend der größte Teil der Doktoranden und Postdocs die Universität verlässt, verschwindet das Wissen aus dem Forschungsbetrieb. Deutschland leistet sich auf diese Weise eine geradezu gigantische Verschwendung von Zeit, Geld und Ideen.
Befristete Stellen führen zum Brain Drain
Der stetige Kampf um Geldmittel mag der Vorstellung entsprechen, dass sich die besten und talentiertesten Köpfe nur im Wettbewerb durchsetzen. Mittlerweile hat dieser Wettbewerb jedoch eine Form angenommen, die das System eher kaputt als besser macht. Er schafft ein Umfeld, in dem die notwendige geistige Freiheit fehlt, sich riskanten, spekulativen Ideen und Ansätzen zu widmen. Wenn die eigene Publikationsliste über den nächsten Anstellungsvertrag entscheidet, geht man lieber auf Nummer sicher.
Bloß keine Idee verfolgen, die dem Mainstream der Forschung entgegenläuft. Nur kein Projekt angehen, das zu 90 Prozent scheitern kann.
Das ist tragisch, denn die Grundlagenforschung ist das Feld, auf dem technische Innovationen wachsen. Von der Entdeckung des GMR-Effekts (giant magnetoresistance)
hat die Entwicklung der Festplatte profitiert. Zunächst esoterisch anmutende mathematische Durchbrüche haben das maschinelle Lernen vorangebracht. Wer sich in der Grundlagenforschung einseitig auf kurzfristige Ziele, Effizienz und Marktmechanismen fixiert, beraubt sich der nächsten technischen Durchbrüche. Dann helfen auch kein Budget von 100 Millionen und eine Agentur für Sprung-innovationen mehr, um den Schaden zu reparieren.
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