Frank Fremerey
Oder: Wie kann der ChaosComputerClub seine Mitglieder schützen, Herr Rieger?
Ein emotionaler Schwerpunkt des 15. CCC-Hackerkongresses in Berlin war erwartungsgemäß die Veranstaltung zum Tod des Hackers "Tron", der am 22. Oktober 1998 tot aufgefunden wurde, nachdem er bereits 4 Tage verschwunden war.
In die vollbesetzte Aula des "Hauses am Köllnischen Park (HAKAP)" warfen Andy Müller-Maguhn (Pressesprecher CCC) und der vom CCC eingeschaltete Rechtsanwalt derart provokante Thesen, daß die ebenfalls anwesenden ermittelnden Beamten ein paar ihrer Ergebnisse preisgaben. Den Vorwurf, man stelle die Rettung von Menschenleben hinter die Verfolgung von Computerkriminalität zurück, wollte man nicht auf sich sitzen lassen.
Die Fakten
Am Samstag dem 17. Oktober 1998 um 13 Uhr telefoniert Tron mit einem Freund, mit dem er um 14 Uhr auf einen etwa 10-minütigen Spaziergang trifft. Um 14:26 hebt Tron für seine Großmutter 500 DM am Geldautomaten ab. Dieses Geld findet die Polizei später unberührt bei Trons Leiche.
Da Tron sich normalerweise immer bei seinen Eltern meldet, bei denen er wohnt, und da er nie über Nacht fortbleibt, sind die Eltern bereits am gleichen Abend besorgt um ihren Sohn. Der Vater bricht umgehend seine Auslandsreise ab. Am Sonntagmorgen verweigert die Vermißtenstelle der Berliner Polizei die Aufnahme einer Anzeige mit der Begründung, daß mit der Suche nach Volljährigen grundsätzlich erst 48 Stunden nach deren Verschwinden begonnen wird.
Gegen 18 Uhr meldet sich besagter Freund beim ChaosComputerClub, der unmittelbar in Aktion tritt: Eine CCC-interne Umfrage nach Trons Aufenthalt bleibt ergebnislos, die vom Netzbetreiber verlangte Standortdatenspeicherung von Trons Handy ergibt später, daß dieses bis 22:30 im Hochhausviertel "Gropiusstadt" eingebucht war, wo in einer Netzzelle Hunderte, wenn nicht Tausende von Wohneinheiten liegen.
Die Vermißtenanzeige wird schließlich am 19. Oktober gegen 15:20 Uhr aufgenommen. Mitglieder des CCC versuchen der Kriminalpolizei klar zu machen, daß es sich bei Tron nicht um irgendeinen jungen Mann handelt, sondern um einen der gefährdetsten Hacker, der mit seiner Arbeit Interessen von Industrie und Verbrecherorganisationen in der Größenordnung von Hunderten von Millionen DM bedroht.
Das wiederum ist für die Polizei Anlaß genug, am nächsten Tag ein Ermittlungsverfahren gegen (!) Tron wegen des "Verdachts auf Computerbetrug" einzuleiten. 13:14 Uhr: Die Polizei beschlagnahmt Trons Computer und Datenträger bei einer Hausdurchsuchung, Motto: "Gefahr im Verzug". Daraufhin beauftragt der CCC einen Anwalt, um endlich ein Ermittlungsverfahren zugunsten des Vermißten zu erreichen. Das gelingt allerdings auch am folgenden Tag nicht, sondern erst am Donnerstag Mittag. Am Donnerstag Abend findet die Polizei Trons Leiche.
Bis heute ermittelt die 3. Berliner Mordkommission in Sachen "Mord zuungunsten von Tron". Zwischenergebnis bisher: es sieht nach Selbstmord aus. Nach Aussagen Müller-Maguhns hat es bei der Identifizierung Trons Unregelmäßigkeiten gegeben. So sei die Leiche ausschließlich Trons Vater gezeigt worden, Bekannte und Freunde haben sie nicht sehen, sondern lediglich an der Beerdigung teilnehmen dürfen.
Trons Umfeld
Tron forschte, zunächst privat, später - bedrängt durch Polizei, Geheimdienste und Verbrecherorganisationen - öffentlich, über die Sicherheit von Chipkarten sowie über Möglichkeiten, sichere Verschlüsselung jedem Bürger preiswert zugänglich zu machen. Menschen, die ihn persönlich kennengelernt haben, beschreiben seine Einstellung etwa folgendermaßen: "Tron war treuherzig und vielleicht ein bißchen naiv, jedenfalls schien er sich zu keiner Zeit der Gefahr bewußt zu sein, in der er schwebte, oder er verdrängte sie. Er ließ sich und seine Produkte bereitwillig fotografieren und gab Technikinteressierten gerne im Detail Auskunft über seine Arbeit."
Wenn es aber um die "Simulation" von Telefonkarten (GSM und Telekom) oder um die äußerst erfolgreiche "Erforschung der Sicherheitsprobleme" von Pay-TV-Karten geht, verstehen diejenigen, die mit diesen Produkten legale und illegale Umsätze im Bereich mehrerer Hundert Millionen Mark im Jahr machen, wenig Spaß. Die Wahrscheinlichkeit, daß jemand aus diesem Umfeld an Tron herangetreten ist und ihn vor die Wahl gestellt hat: "arbeite für uns oder stirb" ist so gering nicht, wobei die Frage offen bleibt, ob unter derart großem Druck nicht auch ein Freitod in Erwägung gezogen werden muß. Die Informationspolitik der Polizei läßt nur zwei logische Schlüsse zu: entweder wurde hier geschlampt und der Legendenbildung Vorschub geleistet, oder es gibt tatsächlich etwas zu verbergen.
Kurz-Interview mit Frank Rieger, Pressesprecher des ChaosComputerClubs e.V., Hamburg:
Siehe auch den Bericht Bitte wegschauen in der Zeit.