Dieser Artikel-Ausschnitt ist der Print-Ausgabe 07/2018 von Technology Review entnommen.
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(Bild: Foto: Shutterstock)
Die intelligenteste Infrastruktur nützt Städtern wenig, wenn das Wohnen unerschwinglich wird. Doch Stadtplaner und Architekten halten Lösungen parat.
London war einst eine lebenswerte Stadt. Heute jedoch leiden viele Menschen unter hohen Kosten für Lebensunterhalt und unerschwinglichen Mieten. Die Wohnkosten explodierten in den vergangenen Dekaden. Mehr als 2000 Euro für eine Zwei-Zimmer-Wohnung sind eher die Regel als die Ausnahme. Ganze Familien leben zusammengepfercht auf engstem Raum. Gerade Geringverdiener brauchen gleich mehrere Jobs, um dann doch bis zu zwei Drittel ihres Einkommens in die Miete zu stecken.
„Städteplaner schauen auf London mit Schaudern“, sagt Christian Schmid, Geograf, Soziologe und Professor am Departement Architektur der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich. „Mit spekulativen Bauten vernichtet man urbane Qualitäten und erhält einen eintönigen und lebensfeindlichen Städtebau.“ London verliert sein Miteinander von Arm und Reich. Dabei sind sich Städteplaner einig, dass eine sozial ausgewogene, heterogene Bevölkerung eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine lebenswerte Großstadt ist.
Investoren aus dem In- und Ausland treiben auch hierzulande das Immobilien-Monopoly voran. Sogar in der lange günstigen Hauptstadt stiegen die Mieten binnen sechs Jahren um etwa ein Drittel, in angesagten Vierteln sogar deutlich mehr. Der mittlere Kaufpreis pro Quadratmeter verdoppelte sich im gleichen Zeitraum auf etwa 3500 Euro. Die Folgen sind Verdrängung, Mieterproteste und Zulauf zu Initiativen wie „Recht auf Stadt“, die immer lauter eine solidarische Wohnpolitik fordern. Bezahlbares Wohnen ist zum Top-Thema in Politik und Gesellschaft geworden. „Eine Stadt ist nur intelligent, wenn das Wohnen bezahlbar bleibt“, bringt es Dietmar Wiegand, Architekt und Städteplaner an der Technischen Universität Wien, auf den Punkt.
Aber wie? Was hat die Politik sich nicht alles ausgedacht: Mietpreisbremse, Durchsetzen von Strafen bei Zweckentfremdung als Ferienwohnung oder spekulativem Leerstand. Zudem war geplant, dass die Miete nach Modernisierungen nicht, wie jetzt zulässig, um elf Prozent jährlich erhöht werden dürfe, sondern künftig nur um acht. Geholfen aber hat all das wenig.
Als Alternativen bringen vor allem Architekten technische Lösungen ins Spiel. So sind winzige Häuser – Tiny Houses – ein Trend, der derzeit aus den USA und Japan nach Europa schwappt. Die Idee dahinter: Wenn Immobilienpreise zu hoch und Baugrundstücke Mangelware sind, müssen halt deutlich weniger Quadratmeter ausreichen. Klug designt, können sie für Singles und Paare ohne Hang zu Konsumballast eine echte Alternative sein: Ab etwa 35000 Euro sind die 15 bis 20 Quadratmeter fertig ausgestattet, erlauben dank pfiffigem Stauraum, klappbaren Tischen, Betten und winzigem Duschbad eine Vielfachnutzung des Raums. Strom, Wasser und Abwasser laufen über feste Leitungen. „Und sie sind natürlich winterfest und zum Dauerwohnen geeignet“, sagt Peter Pedersen aus Neumünster. Seine Rolling Tiny House GmbH ist zwar einer der ersten, aber längst nicht mehr der einzige Anbieter. Sogar der Kaffeeröster Tchibo führt mittlerweile Kleinsthäuser in seinem Programm. Sie ließen sich sogar aufs Wasser setzen. Amsterdam macht diese Variante des Wohnens auf kleinstem Raum seit Jahrzehnten vor mit ausgebauten alten Frachtkähnen. Großstädte wie Berlin und Hamburg bieten ebenfalls viel Wasserfläche, und es müssen ja auch nicht immer alte Frachtkähne sein.
Die zweite Alternative: der Weg in die Höhe. Nicht nur in Frankfurt/M., auch in Berlin, Hamburg, München oder Köln wird die traditionelle Firsthöhe von gut 20 Metern immer öfter durchbrochen. Gut 50 Projekte stehen in der Planungsphase oder werden bereits gebaut. Am Rhein schießt das „Opal“ mit 67 Metern und 20 Stockwerken in die Höhe, in München bringt es das Boardinghaus in Neuperlach auf 50 Meter, in Hamburgs Hafencity gesellt sich zu ersten Hochhäusern ab 2021 der 235 Meter hohe Elbtower nahe den Elbbrücken. Dann werden in Berlin bereits die ersten Bewohner in den knapp 120 Meter hohen einstigen Büroturm am Steglitzer Kreisel einziehen. (Jan Oliver Löfken)