Die niedersächsische Justizministerin will DNA-Untersuchungen zur Altersbestimmung vor Gericht einführen. Was kommt als nächstes?
Es gibt Argumente, die sind so steil, dass mir die Luft wegbleibt. Die niedersächsische Justizministerin Barbara Havliza hat jüngst so ein Argument vorgebracht. Sie fordert nämlich DNA-Tests künftig zuzulassen, um die Strafmündigkeit von Beschuldigten vor Gericht zu ermitteln, auch wenn die Beschuldigten nicht zustimmen. Das sei ja, im Gegensatz zu den sonst üblichen Verfahren, nur ein kleiner Eingriff, erklärte die Ministerin. "Ein DNA-Test tut nicht weh".
Treffer, versenkt. Wie soll man diesen Satz interpretieren? Im günstigsten Fall spricht daraus, dass Frau Havliza dagegen ist, Beschuldigte mutwillig zu quälen. Das kann ja - zumindest im internationalen Vergleich - heutzutage nicht mehr als selbstverständlich angenommen werden, ist also erst mal gut. Grundsätzlich gut ist auch, dass die Ministerin erkannt hat, dass die Genauigkeit einer DNA-Untersuchung zur Altersfeststellung momentan noch nicht ausreiche. Allerdings rechnet Havliza damit, dass "innerhalb der nächsten zwölf oder 24 Monate" die Wissenschaft so weit vorangeschritten sei, "dass wir dann mit diesen Instrument arbeiten können“.
Wo, könnte man also fragen, liegt das Problem? "Altersfeststellung oder Altersbestimmung ist nicht möglich. Diese oft verwendeten Begriffe täuschen vor, man könne, mit welchen Methoden auch immer, das nicht bekannte oder strittige Alter eines jungen Menschen exakt bestimmen", schreibt die Organisation IPPNW in einer Stellungnahme zu dieser Frage. Ein Blick in die wissenschaftliche Literatur stützt dieses Argument. Die Fehlermargen verschiedenster Verfahren liegen in der Größenordnung von mehreren Jahren.
Aber nehmen wir einmal an, es gäbe ein wissenschaftliches Verfahren, mit dem sich das Alter von Jugendlichen auf den Monat genau feststellen ließe. Rein hypothetisch. Was spräche dagegen, dieses Verfahren dann anzuwenden? Drei Gründe meine ich: Die Ministerin will die DNA-Altersbestimmung ohne Zustimmung des Betroffenen zwar ganz grundsätzlich in die Strafprozessordnung hinein bekommen. Im Kern geht es bei diesem Verfahren jedoch um Flüchtlinge ohne Papiere, die möglicherweise über ihr Alter lügen, um mit dem milderen Jugendstrafrecht davon zu kommen.
Es gibt allerdings so etwas wie eine Unschuldsvermutung, und das wäre der erste Grund, keinen erzwungenen DNA-Test zuzulassen. Der zweite Grund ist mangelnde Transparenz. Kein Betroffener kann prüfen, wie die Ergebnisse eines solchen Verfahrens zu Stande gekommen sind.
Wenn aber die Tür zu einer erzwungenen Durchleuchtung des Beschuldigten einmal aufgestoßen ist, was kommt dann als nächstes? Wird anhand der DNA auch gleich die mutmaßliche Herkunft des Beschuldigten festgestellt? Kann man physische Neigungen zu Gewalttätigkeit oder Extremismus aus den DNA-Daten herauslesen? Der wissenschaftlichen Phantasie sind an dieser Stelle fast keine Grenzen gesetzt. Für die politische Entscheidung über die Einführung unfreiwilliger DNA-Tests können mir diese Grenzen jedoch gar nicht eng genug sein.
(Wolfgang Stieler)